Abwahl des Bundeskanzler durch konstruktives Misstrauensvotum  Unterrichtsstunden vom Mai 2016 (Sozi LK 12) bzw. März 2016 (Sozi gk11)


Filmtipps: Konstruktives Misstrauensvotum

Das Video „Verlierer der Geschichte (4) - Rainer Barzel“ thematisiert die Umstände des konstruktiven Misstrauensvotum von 1972 (Herausforderer Barzel gegen Kanzler Brandt) und ist im August 2016 abrufbar unter folgender URL: http://www.youtube.com/watch?v=InAV1zd1igk

 

Das konstruktive Misstrauensvotum von 1982 (Herausforderer Kohl gegen Kanzler Schmidt) ist Thema der Dokumentation „Der Kanzlersturz - Helmut Schmidt“. Die Doku  ist im August 2016 abrufbar unter folgender URL:  https://www.youtube.com/watch?v=D4pfC48kr9o. Das Misstrauensvotum wird gegen Ende der Sendung thematisiert.



Artikel 67 GG (Misstrauensvotum)

(1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muss dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.

 

(2) Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen 48 Stunden liegen. 


Überblick über konstruktive Misstrauensvoten auf der Bundesebene in Deutschland
Datum Herausforderer (Partei) Bundeskanzler (Partei) Ja Nein Enthaltung abwesend / ungültig Notwendig für Erfolg Votum erfolgreich?
27. April 1972 Rainer Barzel(CDU) Willy Brandt(SPD) 247 10 3 236 249 nein
1. Oktober 1982 Helmut Kohl(CDU) Helmut Schmidt(SPD) 256 235 4 2 249 ja

Damit ein Misstrauensvotum erfolgreich ist, muss es von mehr als der Hälfte der Abgeordneten befürwortet werden. Es reicht also nicht die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Enthaltung und Nicht-Teilnahme zählen wie eine Nein-Stimme. Daher war das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt knapp gescheitert, obwohl es nur zehn Nein-Stimmen gab.

Quelle: Seite „Misstrauensvotum“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 31. Juli 2016, 08:13 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Misstrauensvotum&oldid=156596996 (Abgerufen: 3. August 2016, 08:09 UTC)


Rainer Barzel gegen Willy Brandt 1972

Willy Brandt, 1971 im Deutschen Bundestag
Rainer Barzel, 1972 auf einem Parteitag der CDU

Bald nach dem Antritt seiner aus SPD und FDP bestehenden Bundesregierung im Oktober 1969 bemühte sich Bundeskanzler Willy Brandt, neben die von Adenauer maßgeblich betriebene Westintegration auch die Aussöhnung mit den vom Nationalsozialismus stark betroffenen und nunmehr sozialistischen östlichen Nachbarn der Bundesrepublik zu stellen. Dazu wurden von bundesdeutscher Seite mit Polen (7. Dezember 1970) und der Sowjetunion (12. August 1970), später auch mit der DDR,Verträge abgeschlossen, die die Beziehungen zu diesen Ländern zu normalisieren versuchten. Insbesondere der Vertrag mit Polen, der die Oder-Neiße-Grenze faktisch festschrieb und womit die Bundesregierung den Anspruch auf die deutschen Ostgebiete, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Polen und der Sowjetunion verwaltet wurden, aufgab, erzeugte massiven Protest von CDU/CSU und den Vertriebenenverbänden. Bereits im Oktober 1970 waren die Abgeordneten Erich MendeHeinz Starke und Siegfried Zoglmann von der FDP zur CDU/CSU gewechselt. Am 29. Februar 1972 wechselte der Vertriebenenfunktionär Herbert Hupka von der SPD- zur CDU/CSU-Fraktion. Nachdem am 23. April 1972 auch der Abgeordnete Wilhelm Helms aus der FDP-Fraktion ausgeschieden war und die FDP-AbgeordneteKnut von Kühlmann-Stumm und Gerhard Kienbaum erklärt hatten, im Falle eines konstruktiven Misstrauensvotums gegen Brandt für seinen Gegenkandidaten zu stimmen, rechnete die CDU/CSU mit 249 sicheren Stimmen und stellte am 24. April 1972 den Antrag nach Artikel 67 des Grundgesetzes, über den drei Tage später abgestimmt wurde.

Den Anfang der Debatte am 27. April 1972 machte Altbundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, indem er den Antrag der CDU/CSU-Fraktion begründete. Nach Reden von Herbert Wehner und Wolfgang Mischnick folgte der Bundesaußenminister und stellvertretende BundeskanzlerWalter Scheel. Er kritisierte in einem emotionalen Debattenbeitrag die „Veränderung politischer Mehrheitsverhältnisse ohne Wählerentscheid“ und sagte an die Adresse der CDU/CSU, die er im Begriff sah, die Regierungsverantwortung zu übernehmen: „Wer Regierungsmacht auf dieser moralischen Grundlage aufbauen will, der baut auf Sand.“ Damit sprach er vor allem den seiner Ansicht nach charakterlosen Wechsel einiger FDP-Abgeordneter auf die Seite der CDU/CSU an. Nach einem Auftritt des ehemaligen Bundesaußenministers Gerhard Schröder (CDU) sprach Bundeskanzler Willy Brandt und verteidigte noch einmal seine Politik der vergangenen zweieinhalb Jahre.

Von den (verbliebenen) Abgeordneten von SPD und FDP nahmen fast nur die Bundesminister an der Abstimmung teil. Damit sollten einerseits eventuell noch unerkannte „Abweichler“ in den Reihen von SPD und FDP von einer Stimmabgabe abgehalten werden, andererseits sollte eventuellen „Abweichlern“ innerhalb der CDU/CSU die Gegenstimme insofern erleichtert werden, als sie nicht die einzigen ein oder zwei Gegenstimmen abgaben. Der SPD-Abgeordnete Günther Müller, der gegen die Absprachen ebenfalls eine Stimme abgab, wurde später aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen und wechselte zur CDU/CSU. Während der Auszählung durchgeführte Interviews mit Abgeordneten der Koalition wiesen darauf hin, dass selbst diese mit einem Sieg Barzels rechneten. Daher überraschte das Ergebnis allgemein: Rainer Barzel erhielt nur 247 von 260 abgegebenen Stimmen, zur absoluten Mehrheit hätte er die sicher geglaubten 249 Stimmen benötigt. Es gab zehn Neinstimmen und drei Enthaltungen. Damit war das erste konstruktive Misstrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik gescheitert.

Schon bald nach der Abstimmung kamen Gerüchte über eine Bestechung auf. Im Juni 1973 gab der Bundestagsabgeordnete Julius Steiner zu, sich bei der Abstimmung enthalten zu haben, wofür er von Karl Wienand, damaliger Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, 50.000 DM erhalten habe. Ein 1973 eingerichteter Untersuchungsausschuss endete ergebnislos, weil Wienand seine Beteiligung bestritt und der Ausschuss keiner Seite die Unwahrheit nachweisen konnte. Nach dem Ende der DDR stellte sich heraus, dass deren Ministerium für Staatssicherheit (MfS) an der Bestechung beteiligt war, weil, so Erich Honecker, eine Regierung Brandt „für uns alle angenehmer ist als eine Regierung unter Leitung von Barzel und Strauß.[3] Zwei Tage vor der Abstimmung hatte DDR-Chefunterhändler Michael Kohl Egon Bahr angeboten, von DDR-Seite Stimmen zur Rettung von Brandt zu kaufen, der aber ablehnte.[4] Dennoch leitete die DDR die Bestechung unter dem Decknamen „Unternehmen Brandtschutz“ in die Wege. Brigitte Seebacher deutete in ihren Erinnerungen 2006 an, Steiner habe von Wienand und von der DDR kassiert.[5]Außer ihm wurde auch Leo Wagner vom MfS mit 50.000 DM bestochen.[6]

Das trotz der Niederlage Barzels weiterhin bestehende Patt führte im Spätsommer 1972 schließlich zur Vertrauensfrage Willy Brandts, dessen geplanter Niederlage und Neuwahlen im November. Die SPD unter Brandt errang erstmals mehr Stimmen als die CDU/CSU, und die Koalition mit der FDP konnte fortgesetzt werden.

Quelle: Seite „Misstrauensvotum“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 31. Juli 2016, 08:13 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Misstrauensvotum&oldid=156596996 (Abgerufen: 2. August 2016, 17:19 UTC)


Helmut Kohl gegen Helmut Schmidt 1982

Helmut Schmidt, 1982 auf einem Parteitag der SPD
Helmut Kohl, 1983 auf dem Bundesparteitag der CDU nach dem Gewinn der Bundestagswahl

Obwohl Helmut Schmidt noch im Februar 1982 eine Vertrauensfrage deutlich gewonnen hatte, verschärften sich bis zum Sommer die Streitigkeiten innerhalb der SPD, vor allem über den NATO-Doppelbeschluss, und die politischen Unterschiede zur FDP.[7] Der Konflikt über den Bundeshaushalt 1983 führte schließlich zum Bruch der seit 1969 regierenden sozialliberalen Koalition: Der FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorffverfasste auf Bitte des Bundeskanzlers ein „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“, in dem er sich vielen wirtschaftspolitischen Forderungen der CDU/CSU anschloss. Die SPD und ihr Bundeskanzler Helmut Schmidt fassten dieses Konzept als „Scheidungspapier“ auf. Am 17. September 1982 traten die FDP-Minister von ihren Ämtern zurück; sie kamen damit einer Entlassung durch Bundeskanzler Schmidt knapp zuvor.[8] Helmut Schmidt führte zunächst eine SPD-Minderheitsregierung weiter, die FDP trat in Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU ein, die schließlich zum konstruktiven Misstrauensvotum am 1. Oktober 1982 führte. Innerhalb der FDP gab es schwere Auseinandersetzungen. Einige ihrer Abgeordneten, die dem Wechsel ablehnend gegenüberstanden, unter ihnen FDP-Generalsekretär Günter Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier, traten nach der Abstimmung ihrerseits aus der FDP aus und in die SPD ein. In der SPD wurde der Koalitionswechsel der FDP als „Verrat“ bezeichnet; der wenige Tage vor dem konstruktiven Misstrauensvotum endende Wahlkampf für die Landtagswahl in Hessen wurde sehr emotional und hart geführt: Er endete in einer schweren Niederlage der FDP, die den Wiedereinzug in den Landtag im Ergebnis verfehlte. Auch verfehlte die CDU die allseits erwartete absolute Mehrheit deutlich. Durch den Verlust des Koalitionspartners der Union endete die Wahl in einem Sieg von SPD und Grünen.

Bundeskanzler Helmut Schmidt eröffnete die sehr heftig geführte Bundestagsdebatte am Morgen des 1. Oktober 1982 und griff den FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher scharf an: „Ihre Handlungsweise ist legal, aber sie hat keine innere, keine moralische Rechtfertigung.“ Auf Schmidt folgte Rainer Barzel, der selbst zehn Jahre zuvor das konstruktive Misstrauensvotum verloren hatte und nun den vorliegenden Misstrauensantrag begründete. Er kritisierte Schmidt ebenfalls scharf und warf seinerseits der SPD vor, ihren eigenen Bundeskanzler verraten zu haben. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick sagte, Schmidt selbst habe die Koalition beendet; er sei enttäuscht, dass der Bundeskanzler seine eigene Handlungsweise als Verrat der FDP ‚verkauft‘ habe. In einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung erklärte die FDP-Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher, mit dem konstruktiven Misstrauensvotum werde die „moralisch-sittliche Integrität“ von Machtwechseln beschädigt, woraufhin der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler scharf protestierte und ausrief, dass ein verfassungsmäßiges Verfahren „niemals unmoralisch“ sein könne. Zum Schluss ergriff Helmut Kohl noch einmal das Wort und unterstützte Geißler in dieser Hinsicht.

Die Abstimmung selbst gewann Helmut Kohl mit 256 Ja-Stimmen bei 235 Nein-Stimmen, vier Enthaltungen und zwei nicht abgegebenen Stimmen. Das zweite konstruktive Misstrauensvotum in der Geschichte der Bundesrepublik war damit erfolgreich, auch wenn von den insgesamt 279 Abgeordneten von CDU/CSU und FDP mindestens 23 nicht für Kohl stimmten. Helmut Kohl wurde der sechste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Trotz des Erfolges strebte Helmut Kohl in Absprache mit der FDP eine Neuwahl an, die nach der Vertrauensfrage im Dezember 1982 und der verfassungsrechtlich umstrittenen Auflösung des Bundestages im Januar 1983 am 6. März 1983 stattfand.

Quelle: Seite „Misstrauensvotum“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 31. Juli 2016, 08:13 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Misstrauensvotum&oldid=156596996 (Abgerufen: 2. August 2016, 17:19 UTC)


Mitschrift von Sophie Rykal vom Mai 2016 - Leistungskurs Sozialkunde 12  


„Legitimität ist gleich Legalität“

Eine durch ein konstruktives Misstrauensvotum legal ins Amt gekommene Bundesregierung ist demokratisch vollständig legitimiert. Diese Feststellung traf das Bundesverfassungsgericht anlässlich einer Organklage gegen den Bundespräsidenten. Dieser hatte 1983 den Deutschen Bundestag aufgelöst, nachdem Bundeskanzler Kohl eine Abstimmung über die Vertrauensfrage absichtlich verloren hatte und so Neuwahlen herbeiführen wollte, da er und die ihn tragende Koalition aus CDU, CSU und FDP der Ansicht waren, dass eine neue Koalition nicht nur der Legalität des Grundgesetzes, sondern auch einer neuen Legitimation durch den Wähler bedürfe. Sie hatten daher bewusst in den Koalitionsverhandlungen vom September 1982 nur ein sogenanntes „Notprogramm“ formuliert, das die drängendsten wirtschaftspolitischen Fragen angehen sollte. Alle weiteren Fragen sollten dem Wähler vorgelegt werden.

In der Diskussion zwischen Bekanntwerden des konstruktiven Misstrauensvotums und der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung vom 16. Februar 1983[1] war auch die Argumentation vertreten worden, die FDP sei mit dem „Versprechen“ der weiteren Zusammenarbeit mit der SPD in die Bundestagswahl 1980 gegangen; eine Aufkündigung dieser Zusammenarbeit und eine sich anschließende Kooperation mit der CDU/CSU ohne vorherige Neuwahl sei Wählertäuschung und illegitim, mindestens politisch, möglicherweise aber auch rechtlich. Andererseits wurde die Ansicht vertreten, dass CDU/CSU und FDP bereits vor dem konstruktiven Misstrauensvotum vereinbart hätten, bald Neuwahlen herbeizuführen; damit sei das Vertrauen, das die von diesen Parteien getragene Bundestagsmehrheit dem neuen Bundeskanzler ausgesprochen habe, beschränkt gewesen und eine Nichtdurchführung von Neuwahlen deshalb illegitim.

Das Bundesverfassungsgericht hat beiden Argumentationen entschlossen widersprochen, mit der Formel „Legitimität ist gleich Legalität“: Aufgrund der verfassungsrechtlich formellen Legalität des Verfahrens ist auch die demokratischeLegitimität der auf diese Weise ins Amt gekommenen Regierung in verfassungsgemäßer Weise gegeben. Eine weitergehende Legitimation ist nicht geboten. Es bezeichnete die Argumentation, eine durch konstruktives Misstrauensvotum an die Macht gekommene Regierung bedürfe einer besonderen demokratischen Legitimation, als „unverantwortliches Unterfangen“.[2]

Diese Rechtsprechung wirkt in zwei Richtungen:

  • Die Regierung hat keinen Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Zeitpunktes der Bundestagswahl, indem sie die Vertrauensfrage einsetzt.
  • Eine Regierung darf politisch die Frage nach „neuer“ politischer Legitimität nicht stellen. Denn sie ist als konstruktive Alternative angetreten. Daraus ergibt sich eine Stärkung des Repräsentationsprinzips und der parlamentarischen Kontinuität. In diesem Sinne ist die Regierung als Parlamentsregierung zu verstehen.

siehe: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vertrauensfrage 2005

Quelle: Seite „Misstrauensvotum“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 31. Juli 2016, 08:13 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Misstrauensvotum&oldid=156596996 (Abgerufen: 2. August 2016, 17:19 UTC)