Abwahl des Bundeskanzler durch Scheitern der Vertrauensfrage -  Unterrichtsstunden vom Mai 2016 (Sozi LK 12) bzw. März 2016 (Sozi gk 11)


Filmtipps zur Vertrauensfrage von Gerhard Schröder 2001

  • Hans-Christian Ströbele (GRÜNE) 1/3 - Fraktionszwang und Afghanistan-Einsatz (dbate.de-Interview)
    https://www.youtube.com/watch?v=-tNlSNalCf0
    In den Sendeminuten 4-10 werden die Hintergründe der Vertrauensfrage 2001 aus der Sicht von Ströbele thematisiert. 
  • Lügen in der Politik - "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort" | ARD-Doku
    Die Vertrauensfrage von G. Schröder wird in den Sendeminuten 35 bis 45 dargestellt
    http://www.youtube.com/watch?v=yfAIiRwFeoA

Filmtipp zur Vertrauensfrage von Gerhard Schröder 2005


2001: Gerhard Schröder

Gerhard Schröder,
7. Bundeskanzler (1998–2005)

Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder den Vereinigten Staaten noch am selben Tag die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands zugesichert. Da die Ausbildung der Terroristen nach Angaben der USA maßgeblich im von den Taliban beherrschten Afghanistan stattgefunden hatte, forderte der UN-Sicherheitsrat die Auslieferung der Al-Qaida-Terroristen und autorisierte, nachdem die Taliban dieser Forderung nicht nachgekommen waren, militärische Zwangsmaßnahmen gegen das Taliban-Regime. Diese fanden schließlich im November 2001 unter Führung der USA statt und führten zum Sturz der Taliban. Da auch die NATO den Bündnisfall festgestellt hatte, sollte sich die Bundesrepublik mit der Bundeswehr an diesem Krieg in [Afghanistan] beteiligen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 („AWACS I“) bedarf jeder Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes der Zustimmung des Bundestages. Innerhalb der Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen kündigten einige Abgeordnete an, ihre Zustimmung zu verweigern. Obwohl durch die Unterstützung von CDU/CSU und FDP eine breite parlamentarische Mehrheit des Bundestages für den Einsatz der Bundeswehr sicher gewesen wäre, entschied sich Bundeskanzler Schröder, am 16. November 2001 die Vertrauensfrage mit der Abstimmung über die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan zu verbinden (sog. verbundener Vertrauensantrag). In seiner Erklärung machte er deutlich, dass zwar einerseits eine breite parlamentarische Mehrheit wichtig sei und auch international wahrgenommen werde, er es jedoch als unerlässlich ansehe, dass er sich in einer so essentiellen politischen Entscheidung auf eine Mehrheit der ihn tragenden Koalition stützen müsse.

CDU/CSU und FDP lehnten es ab, dem Bundeskanzler das Vertrauen auszusprechen und votierten daher gegen den verbundenen Antrag. Die Abgeordneten von SPD und Grünen stimmten mehrheitlich für den Antrag. Acht Grüne, die ursprünglich gegen den Einsatz der Bundeswehr stimmen wollten, teilten ihre Stimmen in vier Ja- und vier Nein-Stimmen auf. Damit wollten sie die Ambivalenz ihrer Stimmabgabe ausdrücken: Einerseits unterstützten sie die Gesamtpolitik der Koalition, andererseits waren sie gegen den Bundeswehreinsatz. Außerdem wäre wegen der Abwesenheit einiger CDU/CSU-Abgeordneter eine einfache Mehrheit für den Sachantrag ohnehin gesichert gewesen: Die acht Abgeordneten hätten bei gemeinsamer Ablehnung zwar die Bundesregierung gestürzt, den von ihnen abgelehnten Einsatz der Bundeswehr aber nicht verhindert. Aufgrund dieser Aufteilung erhielt der Antrag des Bundeskanzlers insgesamt 336 bei 334 benötigten Stimmen und 326 Gegenstimmen. Dem Bundeskanzler war damit knapp das Vertrauen ausgesprochen worden. Es entwickelte sich bei den Grünen eine heftige Diskussion innerhalb der Partei, die jedoch relativ schnell verebbte.

Im Vorfeld dieser Vertrauensfrage beschäftigte sich der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages mit dem Problem der gespaltenen Mehrheit: Während zur positiven Beantwortung der Vertrauensfrage eine absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundestages vonnöten ist, genügt zur Annahme einer Sachentscheidung bereits die einfache Mehrheit. Es hätte also dazu kommen können, dass zwar dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht positiv ausgesprochen wird, aber gleichzeitig eine Sachentscheidung in seinem Sinne getroffen wird. Bundestagspräsident Thierse hat sich offenbar in Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages zugunsten dieser unterschiedlichen Zählung der Mehrheit entschieden.

Quelle: Seite „Vertrauensfrage“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2016, 11:31 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vertrauensfrage&oldid=154306352 (Abgerufen: 3. August 2016, 12:41 UTC)


2005: Gerhard Schröder

Nachdem am 22. Mai 2005 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 die letzte rot-grüne Koalition auf Landesebene abgewählt worden war, kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder noch am Wahlabend an, Neuwahlen anzustreben. Um die vorzeitige Auflösung des Bundestages und im Herbst 2005 vorgezogene Bundestagswahlen zu erreichen, wählte Schröder wie zuvor Helmut Kohl 1982 den Weg über die Vertrauensfrage. Am 27. Juni 2005 übermittelte der Bundeskanzler dem Bundestag seinen Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen.[7]

Der Deutsche Bundestag befasste sich am 1. Juli 2005 in seiner 185. Sitzung als Tagesordnungspunkt 21 mit dem Antrag des Bundeskanzlers.[8] In der Debatte begründete der Kanzler seinen Antrag mit mangelnder Handlungsfähigkeit seiner Regierung und dem SPD-internen Konflikt rund um die Reformagenda 2010. Er könne sich einer „stabilen Mehrheit des Bundestages“ nicht mehr sicher sein. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit seines Antrages bezog sich der Bundeskanzler in der Debatte auf die Vertrauensfrage, die Helmut Kohl im Jahre 1982 gestellt hatte. In der anschließenden namentlichen Abstimmung wurde dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht ausgesprochen. Von den 595 Abgeordneten, die eine gültige Stimme abgegeben hatten, stimmten 151 mit „Ja“, 296 mit „Nein“, 148 enthielten sich. Damit hatte der Antrag des Bundeskanzlers die erforderliche Mehrheit von mindestens 301 Ja-Stimmen nicht erreicht.

Der Bundeskanzler schlug daraufhin am 13. Juli 2005 dem Bundespräsidenten die Auflösung des Bundestages gemäß Art. 68 GG vor. Hierzu übersandte der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten ein Dossier, welches seinen Vertrauensverlust im Bundestag bewies. Dieses Dossier enthielt die Begründung von Bundeskanzler Schröder, warum der 15. Bundestag frühzeitig vom Bundespräsidenten aufgelöst werden sollte.

Bundespräsident Horst Köhler löste am 21. Juli 2005 den 15. Deutschen Bundestag auf und ordnete Neuwahlen für den 18. September 2005 an. Seine Ermessensentscheidung für eine Auflösung des Bundestages begründete er damit, dass Deutschland angesichts der großen Herausforderungen, vor denen das Land stehe, Neuwahlen brauche. Er könne nicht erkennen, dass eine andere Einschätzung der Lage der des Bundeskanzlers eindeutig vorzuziehen sei. Der Bundeskanzler habe ihm dargelegt, dass er sich nicht mehr auf die stetige Unterstützung des Bundestages für seine Reformpolitik verlassen könne. Der Bundespräsident werde, anders als Karl Carstens im Jahr 1983, nicht zurücktreten, falls das Bundesverfassungsgericht seine Auflösungsentscheidung für verfassungswidrig erklären sollte.

Gegen die Auflösungsanordnung leiteten die Abgeordneten Jelena Hoffmann (SPD) und Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) am 1. August 2005 ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Bundespräsidenten ein. Die Antragsteller hielten die von Bundeskanzler Schröder gestellte Vertrauensfrage für „unecht“, so dass die Voraussetzungen zur Auflösung des Bundestages ihrer Ansicht nach nicht gegeben seien. Sie befürchteten den Wandel zu einer Kanzlerdemokratie. Am 25. August 2005 verkündete das Bundesverfassungsgericht seine am 22. August 2005 mit 7 zu 1 Stimmen gefallene Entscheidung, dass die Auflösung des Bundestages mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Die Anträge einiger Kleinparteien, die insbesondere die Zulassungsvoraussetzungen reduzieren wollten, waren bereits am 8. August 2005 zurückgewiesen worden. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich hier jedoch nicht inhaltlich, sondern wies die auf eine Änderung der Zulassungsmodalitäten gerichteten Anträge wegen fehlender Antragsberechtigung bzw. wegen Verfristung ab.

Siehe auch: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vertrauensfrage 2005

Quelle: Seite „Vertrauensfrage“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2016, 11:31 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vertrauensfrage&oldid=154306352 (Abgerufen: 3. August 2016, 13:02 UTC)


Verfassungsrechtliche Grundlage der Vertrauensfrage

Art. 68 GG lautet in seiner seit dem 23. Mai 1949 unveränderten Fassung:

Artikel 68
(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. ²Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt.

 

(2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen.

Quelle: Seite „Vertrauensfrage“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2016, 11:31 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vertrauensfrage&oldid=154306352 (Abgerufen: 3. August 2016, 12:41 UTC)

Filmtipp zum Thema "Vertrauensfrage"

Die Vertrauensfrage

Veröffentlicht am 19.11.2014

Der Erklärfilm entstand im Rahmen des Seminars "Unterrichtsverfahren, Methoden und Medien" im Sommersemester 2014 an der FU Berlin.

Das Video ist im Augugust 2016 abrufbar unter folgender URL:

https://www.youtube.com/watch?v=k_nPKeHjk40 


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Überblick über die Vertrauensfragen
Datum Bundeskanzler (Partei) Ja Nein Enthaltung abwesend/ungültig  % Ja-Stimmen Vertrauen
ausgesprochen?
Folge
20. September 1972 Willy Brandt(SPD) 233 248 1 14 47,0 % nein Auflösung des Bundestages
5. Februar 1982 Helmut Schmidt(SPD) 269 225 0 3 54,1 % ja  
17. Dezember 1982 Helmut Kohl(CDU) 8 218 248 23 1,6 % nein Auflösung des Bundestages
16. November 2001 Gerhard Schröder (SPD) 336 326 0 4 50,5 % ja  
1. Juli 2005 Gerhard Schröder (SPD) 151 296 148 5 25,2 % nein Auflösung des Bundestages

Quelle: Seite „Vertrauensfrage“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2016, 11:31 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vertrauensfrage&oldid=154306352 (Abgerufen: 3. August 2016, 09:14 UTC)


Filmtipp - Der Kanzlersturz: Die Wende von 1982

Vor genau 30 Jahren – auf den Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle – passiert das Ungeheuerliche: Das Parlament stürzt den Bundeskanzler – zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Opfer: Helmut Schmidt. Die Tatwaffe: Artikel 67 des Grundgesetzes. Die Täter: die F.D.P. um Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff. Im Hintergrund: Helmut Kohl. In “Der Kanzlersturz” erinnert sich Helmut Schmidt an “Die Wende von 1982″. Außerdem kommen Protagonisten und Zeitzeugen zu Wort: der ehemalige CDU-General Heiner Geißler, der Politikwissenschafler Karl-Rudolf Korte, der Journalist Friedrich Nowottny, der Autor Wiglaf Droste, die Musikerin Ulla Meinecke und die ehemalige FDP-Abgeordnete Helga Schuchardt.

 

Die Dokumentation thematisiert nicht nur das konstruktive Misstrauensvotum von Oktober 1982 (Herausforderer Kohl gegen Kanzler Schmidt) sondern auch die Vertrauensfrage Helmut Schmidts vom Februar 1982 Die Doku ist unter dem Namen „Der Kanzlersturz - Helmut Schmidt“. im August 2016 abrufbar unter folgender URL:  https://www.youtube.com/watch?v=D4pfC48kr9o.


Mitschrift vom Mai 2016 - Leistungskurs Sozialkunde 12 – ähnlich besprochen auch im Grundkurs 11 im März 2016


Hintergrundinformationen zur Vertrauensfrage (Wikipedia) 
In Deutschland spricht man von einer Vertrauensfrage im Sinne von Art. 68 Grundgesetz (GG), wenn der Bundeskanzleran den Bundestag den Antrag richtet, ihm das Vertrauen auszusprechen. Die Vertrauensfragen von Helmut Kohl 1982 und Gerhard Schröder 2005 nutzten den Spielraum der Verfassung in einer Weise, die von den Gründungsvätern so nicht vorgesehen war. Beide Kanzler hatten die Mehrheit im Bundestag und stellten dennoch die Vertrauensfrage, um sich über eine Abstimmungsniederlage, Auflösung des Parlaments und Neuwahlen vom Volk bestätigen zu lassen. Was Helmut Kohl 1982/83 gelang, erreichte Gerhard Schröder 2005 nicht. Die Regierung Schröder wurde durch die Regierung Merkelabgelöst.

Der Unterschied zum konstruktiven Misstrauensvotum im Sinne des Art. 67 GG liegt darin, dass der Bundeskanzler selbst die Initiative ergreift und nicht vom Parlament gegen ihn vorgegangen wird. Er kann mit der Vertrauensfrage oder schon mit ihrer bloßen Androhung die ihn tragende Parlamentsmehrheit disziplinieren. Wird sie nicht positiv beantwortet, kann er dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.

Die Vertrauensfrage kann nicht beliebig zur Auflösung des Bundestages zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt genutzt werden, vielmehr muss eine „echte“ Regierungskrise vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht hat anlässlich einerOrganklage 1983 dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten in dieser Frage allerdings einen großen Beurteilungsspielraum zugebilligt. Diesen Spielraum hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung über die Auflösung des Bundestages im Jahre 2005 bestätigt.

Quelle: Seite „Vertrauensfrage“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2016, 11:31 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vertrauensfrage&oldid=154306352 (Abgerufen: 3. August 2016, 12:41 UTC)

Abstimmungsart

Für die Abstimmung über die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers ist die Abstimmungsart weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung des Bundestags (GOBT) geregelt. Abweichend von der Kanzlerwahl und der Abstimmung über das Misstrauensvotum, die beide nach der GOBT geheim sind, hat der Bundestag bei der Vertrauensfrage in der Praxis dasGewohnheitsrecht der Namentlichen Abstimmung geschaffen,[1] also der deutlichsten Form der offenen Abstimmung. Das Nebeneinander von geheimer und namentlicher Abstimmung bei ein und demselben wählbaren Amt (Bundeskanzler) wurde in der staatsrechtlichen Fachliteratur als eine bemerkenswerte „Inkonsequenz“ bezeichnet.[2] Diese ist zudem auffällig, da Misstrauensvotum und Vertrauensfrage sowohl im Grundgesetz (Art. 67 u. 68) als auch in der Geschäftsordnung des Bundestags (§ 97 u. 98)[3] textlich in Folge erscheinen.

 

Verknüpfung der Vertrauensfrage mit einer Sachfrage

Der Bundeskanzler kann die Vertrauensfrage nach Art. 81 Abs. 1 GG auch mit einem Gesetzentwurf oder wie Gerhard Schröder 2001 mit einem sonstigen Sachantrag (Abstimmung über den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan) bzw. schlichtem Parlamentsbeschluss verbinden.

Notwendig ist dies von Verfassungs wegen nicht. Eine solche Verknüpfung hat dennoch zwei Funktionen:

  • Disziplinierungsfunktion: Die Regierung kann die sie stützenden Parlamentsfraktionen in einer wichtigen Sachkontroverse wieder hinter sich vereinen, indem sie durch ein solches Junktim klarstellt, dass sie eine bestimmte Sachposition zum unerlässlichen Kern ihrer Regierungsarbeit macht und nur so den Regierungsauftrag weiter wahrnehmen will.
  • Prozessuale Funktion: Im Sinne der genannten Grundsätze kann der Kanzler gegenüber anderen Verfassungsorganen (Bundespräsident und BVerfG) darlegen, dass er in einer Kernfrage seiner Regierungspolitik keine parlamentarische Unterstützung mehr findet und sich im Sinne ebendieses zentralen Regierungsprogramms handlungsunfähig sieht.

Frist

Die vorgeschriebene Frist von 48 Stunden dient dazu, jedem Abgeordneten die Teilnahme an dieser wichtigen Abstimmung zu ermöglichen und sich diesen die Tragweite ihrer Entscheidung nochmals bewusst machen zu können. So soll, ähnlich wie bei der gleichen Frist zwischen Antrag und Abstimmung beim konstruktiven Misstrauensvotum, verhindert werden, dass ein Abgeordneter seine Entscheidung durch situationsbedingte, temporäre Emotionen beeinflussen lässt.

Rechtsfolgen

Mit einer positiven Antwort auf die Vertrauensfrage signalisiert der Bundestag, dass er weiterhin Vertrauen in den Bundeskanzler hat. In diesem Fall treten keine Rechtsfolgen ein, ein eventuell gemäß Art. 81 GG vorgelegter Beschluss wird angenommen.

Bei jeder anderen Beantwortung der Vertrauensfrage hat der Bundeskanzler drei Möglichkeiten:

  • Er ist nach der negativen Beantwortung der Vertrauensfrage nicht gezwungen, weitere Schritte zu unternehmen. Er kann beispielsweise versuchen, als Bundeskanzler einer Minderheitsregierung weiterzuarbeiten. Ebenso kann er versuchen, durch Wechsel des Koalitionspartners oder durch Hinzunahme eines weiteren Partners eine neue Regierung mit einer tragfähigen Mehrheit zu bilden. Ferner kann er zurücktreten. Auch wenn die beiden letzten Möglichkeiten eine große verfassungsrechtliche Relevanz haben, so sind sie nicht von einer negativen Beantwortung der Vertrauensfrage abhängig, vielmehr stehen sie ihm zu jedem beliebigen Zeitpunkt offen.
  • Die zweite Möglichkeit des Bundeskanzlers ist, den Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestages zu bitten. Dem Bundespräsidenten werden in diesem Falle wichtige politische Rechte übertragen, die er nur in solchen Ausnahmesituationen ausüben kann. Er hat die Möglichkeit, dem Ersuchen des Bundeskanzlers nachzugeben oder das Ersuchen abzulehnen. Die Auflösung des Bundestags muss binnen einundzwanzig Tagen erfolgen. Das Ersuchen des Bundeskanzlers kann bis zur Entscheidung des Bundespräsidenten zurückgezogen werden. Sofern der Bundestag bereits einen neuen Bundeskanzler gewählt hat, ist die Auflösung des Bundestags unzulässig.
  • Die dritte Möglichkeit, die sich für den Bundeskanzler ergibt, ist die Beantragung des Gesetzgebungsnotstandes beim Bundespräsidenten. Um den Gesetzgebungsnotstand zu erklären, ist der Bundespräsident auf die Zustimmung eines vierten Verfassungsorgans, des Bundesrats, angewiesen. Zusätzliche Bedingung ist dabei, dass der Bundestag nicht aufgelöst sein darf.

In keinem Fall kann der Bundeskanzler selbstständig eine Entscheidung treffen, die in die Befugnisse anderer Verfassungsorgane als die der Bundesregierung eingreift.

 

Politische Wirkung

Die starke Position des Bundeskanzlers im politischen System der Bundesrepublik hängt auch damit zusammen, dass es zu seinem Sturz de facto der Bildung einer neuen Koalition bedarf. Dies kann einerseits durch Zusammenarbeit von bisherigen Koalitionären mit (Teilen) der Opposition geschehen oder durch den Übertritt einzelner Koalitionsabgeordneter zur Opposition, wie dies beim konstruktiven Misstrauensvotum 1972 die Voraussetzung war.

Der Bundeskanzler kann mit dem Stellen der Vertrauensfrage bzw. sogar schon mit ihrer Androhung politische Abweichler in der ihn tragenden Koalition disziplinieren (vgl. Bundeskanzler Schmidt 1982 und Bundeskanzler Schröder 2001): Er stellt sie ultimativ vor die Frage, ob sie alles in allem doch noch bereit sind, seine Politik mitzutragen, oder aber ob sie – sofern der Bundespräsident im Sinne des Bundeskanzlers entscheidet – für den zumindest vorläufigen Bruch der Regierung und ihrer Mehrheit verantwortlich sein wollen. Sie müssen sich fragen, ob sie bei der im Falle der negativen Beantwortung der Vertrauensfrage drohenden Neuwahl des Bundestages Chancen haben, wiedergewählt zu werden, oder ob die Parteimitglieder, die sie wieder nominieren müssen, beziehungsweise die Wähler ihr Verhalten als „Verrat“ an der Regierungsmacht betrachten und sie übergehen werden. Auch die Möglichkeit, dass ihre Partei bei einer Neuwahl die Regierungsgewalt verliert, muss in die Überlegungen einbezogen werden.

Besondere Brisanz erhält die Vertrauensfrage, wenn sie mit einer Sachentscheidung (Gesetzentwurf oder einem anderen Sachantrag) verbunden ist: Eventuelle Abweichler müssen abwägen, ob sie faktisch die Gesamtpolitik des Bundeskanzlers ablehnen und Neuwahlen oder die Ausrufung des Gesetzgebungsnotstandes und damit die befristete Entmachtung des Bundestages auslösen wollen oder ob sie in Anbetracht dieser Alternativen bereit sind, eine aus ihrer Sicht ablehnungswürdige Sache doch mitzutragen.

Im Vorfeld der ersten tatsächlichen Verbindung der Vertrauensfrage mit einem Sachantrag im November 2001 wurde von publizistischer Seite bezweifelt, dass diese Art der Druckausübung auf Abgeordnete (politisch) zulässig sei. Auf diese Weise würden zwei nicht unmittelbar miteinander zusammenhängende Entscheidungen verknüpft; es entstünde ein Dilemma für diejenigen Abgeordneten, die auf diese Fragen verschiedene Antworten geben wollten. Dem wurde entgegnet, dass zumindest die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit einem Gesetzentwurf im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen sei und dass eine Verknüpfung mit einem Sachantrag dann erst recht zulässig sei; der auf die Abgeordneten ausgeübte Druck sei von den Verfassern des Grundgesetzes so gewollt.

Quelle: Seite „Vertrauensfrage“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2016, 11:31 UTC. URL:https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Vertrauensfrage&oldid=154306352 (Abgerufen: 3. August 2016, 12:41 UTC)