Sozistunde 12975 alte Version - EU - Das Schäuble-Lamers Papier (1994)  - eine noch aktuelle Krisenanalyse? - Eine "veraltete" Unterrichtsstunde vom 24.10.2016


Die Unterrichtstunde erscheint zwar aus heutiger Sicht veraltet und wurde inzwischen aktualisiert.



Eine Antwort auf die Herausforderungen, die sich aus der wachsenden Integrationsreichweite (Anzahl der Mitgliedsstaaten) der EU ergeben, sehen viele in der Idee eines „Kerneuropa“. Mit Hilfe dieses (oft auch als „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ bezeichneten) Konzepts soll die Gefahr der Handlungsunfähigkeit der EU vermieden und flexible Lösungen für das Problem der zunehmenden Heterogenität gefunden werden.

Vorschläge für ein „Kerneuropa“ gehen vor allem auf das europapolitische Positionspapier der deutschen CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers aus dem Jahr 1994 zurück.  

Dieses Positionspapier ist aus heutiger Sicht noch immer aktuell, nicht nur deshalb aktuell:  

Einerseits gilt: Immer dann wenn die EU in eine Krise gerät, werden Konzepte, in deren Mittelpunkt der die Begriffe „Kerneuropa“ bzw. „Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ stehen, diskutiert.

Anderseits hat die Analyse zur Lage der EU, die Schäuble und Lamers im Rahmen ihres Positionspapiers von 1994 liefern, nur wenig an Aktualität verloren.    


Zum europapolitschen Positionspapier von Schäuble und Lamers vgl.: 

Schäuble: Überlegungen zur europäischen Politik - CDU/CSU-Fraktion https://www.cducsu.de/upload/schaeublelamers94.pdf


Bereits 1994 stellten die beiden CDU-Politiker Schäuble und Lamers in ihrem Positionspapier „Überlegungen zur europäischen Politik“ – vor den unmittelbar bevorstehenden und künftig geplanten Erweiterungen der EU - in ihrer Lageanalyse fest: “Der europäische Einigungsprozeß ist an einen kritischen Punkt seiner Entwicklung gelangt.“ Mit zunehmender Integrationsreichweite (Anzahl der beteiligten Staaten) sahen Schäuble und Lamers die Stabilität der EU gefährdet.
Als „wesentliche … Ursachen“ benannten sie:  

1. Zu beobachten sei eine „zunehmende Differenzierung der Interessen, die auf unterschiedlichem gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklungsgrad beruht und welche die fundamentale Interessen-Übereinstimmung zu überdecken droht“;

1a) Schäuble und Lamers sahen bereits 1994 die Gefahr einer Auseinanderentwicklung „zwischen einer eher protektionismus-anfälligen Süd-West-Gruppe unter einer gewissen Anführung durch Frankreich und einer stärker dem freien Welthandel verpflichteten Nord-Ost-Gruppe unter einer gewissen Anführung durch Deutschland.“

 

In der seit 2010 anhaltenden Eurokrise zeigte sich, dass die Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der EU-Mitgliedsstaaten (der Gegensatz zwischen dem „reichen Norden“ dem „armen Süden“) eine Belastung für die Union darstellen.

1b) Schäuble und Lamers stellen in diesem Zusammenhang fest, dass „dieEinbeziehung (ost-) mitteleuropäischer Staaten in die Union … eine Herausforderung … des ideell-moralischen Selbstverständnisses der heutigen Mitglieder darstellt.“

 

So treffen auch in der aktuellen Flüchtlingskrise unterschiedliche Wertvorstellungen zwischen West und Ost aufeinander: Innerhalb der EU klagen osteuropopäische Staaten wie Ungarn und die Slowakei gegen die Auflage, Flüchtlinge aufzunehmen, und stoßen damit auf den Widerstand Deutschlands und Österreichs. Der deutsche Außenminister droht dieser „Koalition der Unwilligen“ mit gerichtlichen Schritten . Geht es nach dem österreichischen Kanzler Werner Faymann, wird sich in der EU bald ein Klub der Nettozahler gründen, der unsolidarischen Ländern künftig die Zuwendungen kürzt.

vgl.: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article150208688/Auch-das-Kerneuropa-ist-zutiefst-gespalten.html

 

2. Eine massenhafte, „kurzfristig nicht behebbare Arbeitslosigkeit“,  die die ohnehin überlasteten Sozialsysteme und die Stabilität der Gesellschaften bedroht. Diese Krise ist ein Teilaspekt der umfassenden Zivilisationskrise der westlichen Gesellschaften“ [aus der Sicht des Jahres 2016 ist die Krise eine Folge der Globalisierung bzw. einer „Entgrenzung“, die mit einem wachsendem internationalen Konkurrenzdruck einhergeht]

 

 

3. „Zunahme eines "regressiven Nationalismus" in (fast) allen Mitgliedsländern, der die Folge einer tiefen Verängstigung - hervorgerufen durch die problematischen Ergebnisse des [Globalisisierungs-]Zivilisationsprozesses [z. B. Massenarbeitslosigkeit] und durch äußere Bedrohungen wie der Migration - ist. Die Ängste verleiten dazu, wenn nicht Lösungen, so doch mindestens Abschirmung in einem Zurück zum Nationalen und zum Nationalstaat zu suchen“ 

4.Schwächen nationaler Regierungen und Parlamente angesichts der erwähnten Probleme“

Schäuble und Lamers würden auch im Jahr 2016 zahlreiche Schwächen benennen können: z. B.:

- das Hinwegsetzen Frankreichs über die Vereinbarungen des Stabilitätspakts. Frankreich verstößt schon seit 2008 gegen die Defizitregeln der EU, nach denen die Neuverschuldung eines Staates normalerweise drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht überschreiten darf.

 

 

5. eine „Überdehnung [bzw. eine mangelnde Handlungsfähigkeit] der Institutionen [der EU], die für 6 errichtet“ wurden und die „bald (voraussichtlich) [mehr] Mitglieder tragen“ muss. […]
Länder, die … in der Integration weiter zu gehen willens … sind als andere,“ dürfen in Zukunft „nicht durch Veto-Rechte anderer Mitglieder blockiert“ werden.

vgl.: Schäuble: Überlegungen zur europäischen Politik - CDU/CSU-Fraktion https://www.cducsu.de/upload/schaeublelamers94.pdf