Sozistunde 12311 - Putin, Iljin, Dugin


1. Theoretiker des Putinismus: Iwan Iljin, Carl Schmitt und Alexaner Dugin

Laut dem französischen Philosophen Michel Eltchaninoff , der eine Arbeit über das Politische Denkens Putins verfasst hat, gilt: Putin hat als politischer Lenker kein Interesse daran, in Russland eine geschlossene Staatsideologie nach dem Vorbild des Marxismus-Leninismus in der kommunistischen Sowjetunion zu schaffen. Jedoch kann man in seinen Reden und seinem Handeln verschiedene philosophische Einflüsse ausmachen. 

Putin vermengt sehr verschiedenartige philosophische Linien miteinander:

So z. B. die antidemokratische Theorien des russischen Philosophen Iwan Iljins (1883–1954) und des deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt (1888–1985) sowie die eurasischen, antiwestlichen Ideen Iljins und Alöexnder Dugins (* 1962).

Vgl.: Putinismus – Wikipedia; https://de.wikipedia.org/wiki/Putinismus

 

Putins Welt | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur - YouTube

https://www.youtube.com/watch?v=ASXAkkHTIG0

 Russlands Überfall auf die Ukraine: Wladimir Putin ist nicht verrückt – er handelt ideologisch konsequent - DER SPIEGEL

https://www.spiegel.de/geschichte/russlands-ueberfall-auf-die-ukraine-wladimir-putin-ist-nicht-verrueckt-er-handelt-ideologisch-konsequent-a-51d52385-74da-4ed5-8c61-50eb0628ffde

 Seite „Iwan Alexandrowitsch Iljin“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. Februar 2024, 09:45 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Iwan_Alexandrowitsch_Iljin&oldid=241853297 (Abgerufen: 11. Februar 2024, 22:55 UTC)

 Wladimir Putin: Michel Eltchaninoff über die Patchwork-Philosophie des Präsidenten - DER SPIEGEL. In Interview von Philipp Oehmke und Britta Sandberg

08.04.2022, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 15/2022

https://www.spiegel.de/kultur/wladimir-putin-michel-eltchaninoff-ueber-die-patchwork-philosophie-des-praesidenten-a-37b31062-94aa-4d3f-8fcb-c4b8598d0206

 Prof. Dr. Rainer Gold (Uni Mainz): Iljin, Dugin, Putin - Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit https://youtu.be/F6JPHflzr5Y?t=690


1. Iwan Iljin – der Lieblingsphilosoph Putins

Putin ließ bei seinem Angriff auf die Krim im Jahre 2014 drei philosophische Schriften an hohe Beamte verschenken. Putin verteilte im Kreml Werke russischer Denker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts; »Unsere Aufgaben« von Iwan Iljin, »Die Philosophie der Ungleichheit« von Nikolai Berdjajew und die »Die Rechtfertigung des Guten« von Wladimir Solowjow.

Besonders das Werk von Iwan Iljin hat Putin sehr beeeindruckt. Iwan Iljin war zwar kein besonders berühmter Philosoph, aber für Putin der wichtigste. Er hat ihn mehrfach in großen Reden zitiert. Im Oktober 2021 betonte der Präsident bei seinem Vortrag, dass Iljins Bücher nie weit von ihm entfernt in seinem Regal stünden.

Vladimir Putin nutzt Iljins antidemokratischen und antiwestlich-eurasischen Ideen zur intellektuellen Begründungen seiner Politik und zitiert ihn gerne bei nahezu allen seinen Ansprachen.


2. Iljins Lebenslauf: Flucht aus der Sowjetunion, Exil in Deutschland und der Schweiz

Iwan Iljin (* 28. März 1883 in Moskau, † 21.Dezember 1954 in Zollion nahe Zürich)

entstammte einer aristokratischen Familie aus Moskau. Iljins Mutter war eine Deutschrussin; der Patenonkel seines Vaters Alexander Iljin war der Thronfolger und spätere Zar Alexander II. von Russland (1818-1881).

1906 absolvierte Iwan Iljin ein Jura-Studium an der Kaiserlichen Moskauer Universität (heute

Lomonossow-Universität) und blieb dort als Mitarbeiter.

1918 wurde Iljin zum Professor der Rechtswissenschaften ernannt. Wegen „anti-kommunistischer“ Tätigkeit wurde er mehrmals verhaftet und sogar zum Tode verurteilt. Letztlich wurde er aber 1922 zusammen mit 160 anderen Intellektuellen (auf einem so genannten „Philosophenschiff“) aus Russland verbannt. „Philosophenschiff“ ist die Sammelbezeichnung für mindestens fünf Schiffe, mit denen im Jahr 1922 unliebsame Personen in großer Zahl aus Sowjetrussland ins Ausland abgeschoben wurden.

 

Iljin lebte während des Aufstiegs der Nazis in Deutschland. Zwischen 1927 und 1930 war er Redakteur und Herausgeber der Zeitschrift „Russische Glocke“. 1933 äußerte er Verständnis für Hitlers Machtergreifung, sah er doch in Hitler einen möglichen Verteidiger Europas gegen die Kommunisten und lobte den „neuen nationalsozialistischen Geist“. 1934 wurde er jedoch von den Nationalsozialisten kurzzeitig verhaftet und erhielt in der Folge ein Lehr- und Schreibverbot. 1938 konnte er in die Schweiz ausreisen. Von der Schweiz aus setzte er seine publizistische Arbeit bis ans Lebensende 1958 fort. Er wurde in Zollikon in der Nähe von Zürich beerdigt, aber sein Leichnam wurde 2005 auf ausdrücklichen Wunsch Putins nach Russland zurückgebracht.


3. Iljins antidemokratisches Denken: Das nachkommunistische Russland braucht keine demokratischen Wahlen, sondern einen tatkräftigen Führer!

In den 1940er und 1950er Jahren beschäftigte sich Iljin in seinem Exil in Deutschland und der Schweiz damit, was aus Russland nach dem Fall des Kommunismus werden könnte

Iljin sagt, nach dem Kommunismus werden ausländische Kräfte versuchen, Russland zu kolonisieren und zu zerstückeln. und in einen Kriegsherd zu verwandeln, um es klein zu halten. Es sei denn, es gelingt einem jungen, tatkräftigen Führer, das russische Volk zu vereinen um die Aggression des Westens Einhalt zu gebieten und Russland seinen einstigen Stolz zurückzugeben. Seine einfachen Ausführungen müssen Wladimir Putin tief beeindruckt haben.

Iljin ging es um eine Art Russland, das nicht den Regeln der westlichen Demokratie gehorcht. Ein Russland, das sich auch nicht dem Diktat des Westens beugt.

Es wird erzählt, dass der berühmte russischer Filmemacher - Nikita Michalkow - lmemacher) Putin mit dem Werk von Iljin vertraut gemacht hat. Offenbar schenkte er Putin die Werke von Iwan Iljin mit der Bemerkung, darin läge eine russische Prophezeiung, die Wladimir Putin verkörpern würde.

 

Iljin kritisiert die westlichen Demokratien, weil sie seiner Meinung nach nur auf Wahlen basieren. Die politische Führung sei schwach, weil sie alle 4, 5 oder 7 Jahre wechselt.

Er plädiert (wie der deutsche Staatsphilosoph Carl Schmitt) für eine Demokratie per Akklamation (zustimmenden Beifall), in welcher das Volk ein und denselben Führer auf lange Zeit bejubeln kann.

Genau das hat Putin erfolgreich geschafft: Er ist seit 2000 praktisch ununterbrochen an der Macht und kann dies (nach einer Verfassungsänderung, die in einem Referendum bestätigt wurde) bis 2036 bleiben.

Putin glaubt eine Art „Beifallsdemokratie“ geschaffen zu haben, in der das Volk stolz ist auf seinen Führer, in der ihm das Volk bittet und ihm dafür dankt, dass er weitermacht.

 

Das Problem ist, dass es sich bei Russland um eine „gelenkte Demokratie“ handelt. Es gibt in Russland keine demokratische Debatte vor einer Präsidentschaftswahl. Putin wird sich nie dazu herablassen, im Fernsehen mit seinen Gegnern zu debattieren: Kandidaten, die Putin nicht genehm sind, haben kein Recht, bei den Wahlen anzutreten.
Ein tatsächlicher Oppositioneller wie der Antikorruptions-Aktivist und Blogger Alexei Nawalny wurde 2020 vom Geheimdienst vergiftet. Er ist seit 2021 inhaftiert und muss eine langjährige Gefängnisstrafe absitzen.



4. Exkurs: Putin als ewiger Präsident?

Putins erste Amtszeit dauerte von 2000 bis 2004, bei den Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000 hatte Putin 53 Prozent der Stimmen erreicht; auch die Präsidentschaftswahlen 2004 gewann Putin mit 71 Prozent der Stimmen deutlich, die staatlich kontrollierten Medien hatten im Vorfeld für Putin geworben; Putins zweite Amtszeit ging von 2004 bis 2008. 

Laut russischer Verfassung von 1992 war die Regierungszeit des Präsidenten auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten beschränkt. Daher überließ Putin in den Jahren 2008 bis 2012 für eine Amtszeit Dimitri Medwedew - einem früheren Kollegen aus der Petersburger Stadtverwaltung - das Präsidentenamt. Putin übernahm für 4 Jahre Medwedews Amt des Ministerpräsidenten.

Die Amtszeit des russischen Präsidenten wurde bereits 2010 auf 6 Jahre verlängert und Putin trat – auf Vorschlag Medwedews - bei den Präsidentschaftswahlen Wahlen 2012 wieder als Kandidat an. 

Putin gewann diese Wahlen des Jahres 2012 mit 63 Prozent der Stimmen und die Wahlen des Jahres 2018 mit 76 Prozent der Stimmen.

In einem umstrittenen Referendum stimmten die Wähler im Sommer 2021 für eine Verfassungsänderung gestimmt, die Putin zwei weitere Amtszeiten auch nach dem Ende seines aktuellen Mandats im Jahr 2024 erlaubt.

Zwar bleibt die Zahl der aufeinander folgenden Präsidenten-Amtszeiten auch weiterhin auf zwei begrenzt, doch gilt das nicht für Staatsoberhäupter, die vor dieser Verfassungsänderung amtierten. Für den amtierenden Präsidenten Putin wird der Amtszeit-Zähler damit quasi wieder auf Null gestellt. Theoretisch kann er so bis 2036 Präsident bleiben!

 

 


5. Exkurs: Carl Schmitt – der „Kronjurist des Dritten Reichs“

Carl Schmitt: Antiliberalismus, identitäre Demokratie und Weimarer Schwäche (gegneranalyse.de)

https://gegneranalyse.de/personen/carl-schmitt/

Carl Schmitt – Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt

Carl Schmitt: Philosoph, Jurist, Verräter des Rechts - Politik - SZ.de (sueddeutsche.de)

https://www.sueddeutsche.de/politik/carl-schmitt-jurist-hitler-recht-justiz-1.4313054

Carl Schmitt: Antiliberalismus, identitäre Demokratie und Weimarer Schwäche (gegneranalyse.de)

https://www.sueddeutsche.de/politik/carl-schmitt-jurist-hitler-recht-justiz-1.4313054

 

Iwan Iljin greift (ebenso wie Alexander Dugin) mit seinen Ideen auf den politischen Philosophen Carl Schmitt zurück. Schmitt war ein einflussreicher Staatsrechtler der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus.

● Carl Schmitt kritisierte in seinen politischen Schriften die liberale Demokratie der Weimarer Republik. Wichtig für eine libe­ra­le Demokratie sind die Prinzipien Rechtstaatlichkeit, Menschenrechte, Gewaltenteilung, und die Dis­kus­sion in einem gewählten Parlament.

● Schmitt sah in diesen liberalen Ideen Gründe für die Schwä­che und die Ent­schei­dungs­un­fä­hig­keit des par­la­men­ta­ri­schen Systems der Weimarer Republik:

Das Parlament war für ihn ein Ort eines „ewigen Gesprächs“.

● Geheime Wahlen wählt Schmitt ab: Bei einer geheimen Stimmabgabe.

hat der Bürger nicht das Wohl des Ganzen, sondern sein privates Interesse im Auge. 

● Schmitt plädierte für Volksabstimmungen: Statt Parteien zu wählen, ist es besser, das das Volk auf eine ihm vor­ge­legte Frage mit Ja oder Nein ant­wor­tet.

● Schmitt setzte sich ab 1930 für einen „Führerstaat“ ein. Ein solcher Führer sollte das das Volk mit Hilfe von Volksanstimmungen als homo­gene Einheit hinter sich zu versammeln.

● Der politische Führer sollte nicht durch geheime Wahlen bestimmt werden, sondern durch Aklamation. Unter Akklamation (von lateinisch acclamatio ‚Zuruf‘) versteht man im Allgemeinen eine Zustimmung durch Beifall oder einfaches Handzeichen in einer Versammlung. Die Akklamation unterscheidet sich deutlich von einer geheimen Abstimmung, bei der mehrere Möglichkeiten erwogen werden.

 

Carl Schmitt (1988 bis 1985) gilt als einer der bekanntesten und zugleich umstrittensten deutschen Staatsrechter des 20. Jahrhunderts. Schmitt wurde 1914 Professor für Staatsrecht. Auch unter Nichtjuristen wurde Schmitt durch Veröffentlichungen - etwa über „Politische Romantik“ (1919) oder „Die Diktatur“ (1921) mit sprachmächtigen und schillernden Formulierungen schnell bekannt.

Bis 1933 lehnte Schmitt eine Machtübernahme der Nationalsozialisten ab. Nach der Machtergreifung Hilters 1933 betonte er dann aber die Rechtmäßigkeit der „national-sozialistischen Revolution“ und verschaffte der NSDAP mit zahlreichen juristischen  Gutachten eine juristische Legitimation:

● Die Morde zur vorgeblichen Prävention des sogenannten Röhm-Putsches von 1934 rechtfertigte Schmitt durch sein juristisches Prinzip der „Führer-Ordnung“.

Hitler hatte zwischen dem 30. Juni und 2. Juli 1934 unter dem Vorwand , sie hätten eine Rebellion geplant (Röhm-Putsch), mehr als 150 Menschen ermorden lassen, Es war eine Hinrichtung Unschuldiger - ohne Prozess, ohne Anwalt, ohne Richter. Schmitt schrieb: „Der Führer schützt das Recht“.

● Die antisemitischen Nürnberger Gesetze von 1935 nannte er eine „Verfassung der Freiheit“. 

Aufgrund seines juristischen und verbalen Einsatzes für den Staat der NSDAP wurde er von kritischen Zeitgenossen als „Kronjurist des Dritten Reiches“ bezeichnet. 

● Schmitt wird heute, wegen seines staatsrechtlichen Einsatzes für den Nationalsozialismus und seiner Gegnerschaft zur liberalen Demokratie sowie als „Prototyp des gewissenlosen Wissenschaftlers, der jeder Regierung dient, wenn es der eigenen Karriere nutzt“, weithin abgelehnt. Allerdings wird er aufgrund der breiten internationalen Rezeption seiner Gedanken manchmal auch als „Klassiker des politischen Denkens“ bezeichnet.


6. Eurasianische Ideen (Euraismus/Euraistertun) bei Iljin  

Iljin war ein Gegner der sowjetischen Kommunisten und galt als slawophiler Philosoph. Die Slawophilen vertraten die Idee des  „Panslawismus“ (auch Allslawische Bewegung). Der Panslawismus entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sein Ziel war die kulturelle, religiöse und politische Einheit aller slawischen Völker (Russen, Weißrussen, Ukrainer, Bulgaren, Polen, Tschechen, Slowaken, Kroaten, Serben) in Europa.

 

Auch zum politischen Denken Putins gehört ein [kleine] Prise Panslawismus. Bei seiner traditionellen Jahrespressekonferenz am 18. Dezember 2014 wurde dies deutlich. Auf die Frage eines Journalisten, ob er sich 


7. Eurasismus bei Alexander Duigin  

Heute vertritt der russische Publizist Alexander Dugin neue eurasistische (neo-eurasistische) Ideen. Er besitzt eine bipolare Weltsicht: Er glaubt, dass das von Russland dominierte „Eurasien“ einem Hauptfeind gegenüberstünde. Er sieht einen Kampf zwischen autokratisch regierten „eurasischen“ Landmächten unter der Führung Russlands und liberalen „atlantischen“ Seemächten unter der Führung der Vereinigten Staaten.
Europa wird laut Dugin von den Amerikanern besetzt und Russland müsse die Rolle des Befreiers annehmen.
Alexander Dugin vertritt nicht nur die Ideen des „Neoeuraismus“, er ist auch ein Ideengeber einer extremen oder sogar faschistischen Rechten in Russland.

 

Alexander Dugins Tocher, Darja Dugina war eine Journalistin. In ihrer ideologischen Ausrichtung stand sie den ultranationalistischen Positionen ihres Vaters nahe

Dugina war eine entschiedene Befürworterin des russischen Überfalls auf die Ukraine im Jahr 2022. Dugina starb am 20. August 2022 im Alter von 29 Jahren in einer der Moskauer Vorortsiedlung, als ein auf der Fahrerseite ihres Autos montierter Sprengsatz explodierte.
Es ist unklar, ob sie selbst angegriffen werden sollte oder ob ihr Vater das eigentliche Ziel des Attentats war. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB machte nach eineinhalb Tage dauernden Ermittlungen ukrainische Geheimdienste für den Anschlag verantwortlich. 



8. Eurasische Ideen (Euraismus) bei Putin  

Putin interessiert sich weniger für die Person Dugins, die zu extremistisch ist, als dass sie sich mit ihm zeigen würde. auch wenn er seine Bücher liest.

Wie stark Dugin den Kurs des Kreml beeinflussen kann, ist schwer zu beurteilen.

Einige von Dugins Bewunderern gehören der der Putin-Partei „Einiges Russland“ und dem engeren Kreis um Präsident Putin an.

Das gilt etwa für den Starjournalisten Michail Leontjew, den Politikwissenschaftler Sergei Markow (seit 2007 Abgeordneter in der Staatsduma) und den Fernsehmoderator Iwan Demidow, der in der Partei für ideologische Fragen zuständig ist. (Vgl.:  Die Wiederentdeckung Eurasiens (monde-diplomatique.de)

https://monde-diplomatique.de/artikel/!340110)

 Das Konzept „Eurasien“ ist aber für Putin von Bedeutung. Seit er Präsident ist, betont Putin, dass Russlands Schicksal auch in Asien liegt. Seiner Meinung nach gehört Russland zwar kulturell zu Europa, geografisch aber stärker zu Asien.

Putin macht seinem Volk eine Hinwendung zum Osten schmackhaft und wirbt für ein Bündnis mit Xi Jinpings China, anstatt mit Westeuropa oder den USA.

Putin teilt auch in Hinblick auf sein Feindbild die Sicht der Eurasisten. Er glaubt, dass die USA in einer „Anakonda-Strategie“ den Russen den Hals zudrücken wollen.

Indizien dafür sieht er in der „Orangen Revolution“ 2004 in der Ukraine, der „Rosen-Revolution“ 2003 in Georgien und erst recht der „Euro-Maidan“ in Kiew von 2014.  

 

Nach dem Ende der ehemaligen UdSSR wollten viele Mitglieder des Warschauer Paktes Mitglied der NATO werden. Die Ost-Erweiterung der NATO empfand Putin als Bedrohung!    




Michel Eltchaninoff ist ein französischer Autor und Journalist. Eines seiner Schwerpunktthemen ist die russische Philosophie, er ist Verfasser des Buches In Putins Kopf.


Putins Welt – In Putins Kopf

Wie denkt Putin? Ein Gespräch mit Michel Eltchaninoff, Philosoph und Autor des Buches "In Putins Kopf".

Im Gespräch mit Yves Bossart erklärt Michel Eltchaninoff, Chefredaktor des französischen "Philosophie Magazine", aus welchen Werken Putin Ideen für seine Geopolitik schöpft, wohin ihn diese führen und welche aktuellen Gefahren sie bergen.

Putins Welt - 3sat-Mediathek

https://www.3sat.de/gesellschaft/sternstunde-philosophie/putins-welt-102.html



Putins Welt | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur - YouTube

https://www.youtube.com/watch?v=ASXAkkHTIG0

 

Russlands Überfall auf die Ukraine: Wladimir Putin ist nicht verrückt – er handelt ideologisch konsequent - DER SPIEGEL

https://www.spiegel.de/geschichte/russlands-ueberfall-auf-die-ukraine-wladimir-putin-ist-nicht-verrueckt-er-handelt-ideologisch-konsequent-a-51d52385-74da-4ed5-8c61-50eb0628ffde

 

Seite „Iwan Alexandrowitsch Iljin“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. Februar 2024, 09:45 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Iwan_Alexandrowitsch_Iljin&oldid=241853297 (Abgerufen: 11. Februar 2024, 22:55 UTC)

 

Wladimir Putin: Michel Eltchaninoff über die Patchwork-Philosophie des Präsidenten - DER SPIEGEL. In Interview von Philipp Oehmke und Britta Sandberg

08.04.2022, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 15/2022

https://www.spiegel.de/kultur/wladimir-putin-michel-eltchaninoff-ueber-die-patchwork-philosophie-des-praesidenten-a-37b31062-94aa-4d3f-8fcb-c4b8598d0206

 

Prof. Dr. Rainer Gold (Uni Mainz): Iljin, Dugin, Putin - Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit https://youtu.be/F6JPHflzr5Y?t=690


 

Putin ließ bei seinem Angriff auf die Krim im Jahre 2014 drei philosophische Schriften an hohe Beamte verschenken. Putin verteilte im Kreml Werke russischer Denker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts; »Unsere Aufgaben« von Iwan Iljin, »Die Philosophie der Ungleichheit« von Nikolai Berdjajew und die »Die Rechtfertigung des Guten« von Wladimir Solowjow.

Besonders das Werk von Iwan Iljin hat Putin sehr beeeindruckt. Iwan Iljin war zwar kein besonders berühmter Philosoph, aber für Putin der wichtigste. Er hat ihn mehrfach in großen Reden zitiert. Im Oktober 2021 betonte der Präsident bei seinem Vortrag, dass Iljins Bücher nie weit von ihm entfernt in seinem Regal stünden.

 

Iwan Iljin (* 28. März 1883 in Moskau, † 21.Dezember 1954 in Zollion nahe Zürich)

entstammte einer aristokratischen Familie aus Moskau. Iljins Mutter war eine Deutschrussin; der Patenonkel seines Vaters Alexander Iljin war der Thronfolger und spätere Zar Alexander II. von Russland (1818-1981).

1906 absolvierte Iwan Iljin ein Jura-Studium an der Kaiserlichen Moskauer Universität (heute

Lomonossow-Universität) und blieb dort als Mitarbeiter.

1918 wurde Iljin zum Professor der Rechtswissenschaften ernannt. Wegen „anti-kommunistischer“ Tätigkeit wurde er mehrmals verhaftet und sogar zum Tode verurteilt. Letztlich wurde er aber 1922 zusammen mit 160 anderen Intellektuellen (auf einem so genannten „Philosophenschiff“) aus Russland verbannt. „Philosophenschiff“ ist die Sammelbezeichnung für mindestens fünf Schiffe, mit denen im Jahr 1922 unliebsame Personen in großer Zahl aus Sowjetrussland ins Ausland abgeschoben wurden.

Iljin lebte während des Aufstiegs der Nazis in Deutschland. Zwischen 1927 und 1930 war er Redakteur und Herausgeber der Zeitschrift „Russische Glocke“. 1933 äußerte er Verständnis für Hitlers Machtergreifung, sah er doch in Hitler einen möglichen Verteidiger Europas gegen die Kommunisten und lobte den „neuen nationalsozialistischen Geist“. 1934 wurde er jedoch von den Nationalsozialisten kurzzeitig verhaftet und erhielt in der Folge ein Lehr- und Schreibverbot. 1938 konnte er in die Schweiz ausreisen. Von der Schweiz aus setzte er seine publizistische Arbeit bis ans Lebensende 1958 fort. Er wurde in Zollikon in der Nähe von Zürich beerdigt, aber sein Leichnam wurde 2005 auf ausdrücklichen Wunsch Putins nach Russland zurückgebracht.

 

In den 1940er und 1950er Jahren beschäftigte sich Iljin in seinem Exil in Deutschland und der Schweiz damit, was aus Russland nach dem Fall des Kommunismus werden könnte.

Iljin sagt, nach dem Kommunismus werden ausländische Kräfte versuchen, Russland zu kolonisieren und zu zerstückeln. und in einen Kriegsherd zu verwandeln, um es klein zu halten. Es sei denn, es gelingt einem jungen, tatkräftigen Führer, das russische Volk zu vereinen um die Aggression des Westens Einhalt zu gebieten und Russland seinen einstigen Stolz zurückzugeben. Seine einfachen Ausführungen müssen Wladimir Putin tief beeindruckt haben.

Iljin ging es um eine Art Russland, das nicht den Regeln der westlichen Demokratie gehorcht. Ein Russland, das sich auch nicht dem Diktat des Westens beugt.

Es wird erzählt, dass der berühmte russischer Filmemacher - Nikita Michalkow - lmemacher) Putin mit dem Werk von Iljin vertraut gemacht hat. Offenbar schenkte er Putin die Werke von Iwan Iljin mit der Bemerkung, darin läge eine russische Prophezeiung, die Wladimir Putin verkörpern würde.

Iljin kritisiert die westlichen Demokratien, weil sie seiner Meinung nach nur auf Wahlen basieren und die Führung sehr oft alle 4, 5 oder 7 Jahre wechselt.

Er plädiert (wie der deutsche Staatsphilosoph Carl Schmitt) für eine Demokratie per Akklamation (zustimmenden Beifall), in welcher das Volk ein und denselben Führer auf lange Zeit bejubeln kann.

 

Genau das hat Putin erfolgreich geschafft: Er ist seit 2000 praktisch ununterbrochen an der Macht und kann dies (nach einer Verfassungsänderung, die in einem Referendum bestätigt wurde) bis 2036 bleiben.

Putin glaubt eine Art „Beifallsdemokratie“ geschaffen zu haben, in der das Volk stolz ist auf seinen Führer, in der ihm das Volk bittet und ihm dafür dankt, dass er weitermacht.

 

Das Problem ist, dass es sich bei Russland um eine „gelenkte Demokratie“ handelt. Es gibt in Russland keine demokratische Debatte vor einer Präsidentschaftswahl. Putin wird sich nie dazu herablassen, im Fernsehen mit seinen Gegnern zu debattieren: Kandidaten, die Putin nicht genehm sind, haben kein Recht, bei den Wahlen anzutreten.
Ein tatsächlicher Oppositioneller wie der Antikorruptions-Aktivist und Blogger Alexei Nawalny wurde 2020 vom Geheimdienst vergiftet. Er ist seit 2021 inhaftiert und muss eine langjährige Gefängnisstrafe absitzen.



Putins Welt – In Putins Kopf

Seit 22 Jahren regiert Wladimir Putin Russland. Der Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine alarmiert den Westen, einmal mehr.

Wer ist der Mann, der die Welt in Schrecken versetzt? Wie denkt Putin? Ein Gespräch mit Michel Eltchaninoff, Philosoph und Autor des Buches "In Putins Kopf".

Zum Neujahrsempfang 2014 schenkte Wladimir Putin seinen wichtigsten Beamten drei philosophische Werke zur Pflichtlektüre. Zudem zitiert der ehemalige KGB-Spion in seinen politischen Reden gerne russische Intellektuelle, konservative Vordenker und anti-westliche Philosophen. Manche dieser Visionäre träumen von einem russischen Großreich, andere gar von einem eurasischen Imperium. Wer sind diese Vordenker von Wladimir Putin?
Im Gespräch mit Yves Bossart erklärt Michel Eltchaninoff, Chefredaktor des französischen "Philosophie Magazine", aus welchen Werken Putin Ideen für seine Geopolitik schöpft, wohin ihn diese führen und welche aktuellen Gefahren sie bergen.

Putins Welt - 3sat-Mediathek

https://www.3sat.de/gesellschaft/sternstunde-philosophie/putins-welt-102.html

 

Putins Welt | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur - YouTube

https://www.youtube.com/watch?v=ASXAkkHTIG0

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=889 (Sendeminute 14:49)

Zur Welt kommt Wladimir Putin 1952 in der Sowjetunion, genauer gesagt in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg. Die Eltern sind arm, er prügelt sich oft mit seinen Mitschülern und der macht Kampfsport. Nach dem Jurastudium heuert Wladimir Putin beim mächtigen sowjetischen Geheimdienst - beim KGB – an. Er ist Spion in Ostdeutschland, als die Mauer fällt. Und wenige Monate nach der DDR zerfällt auch die Sowjetunion.

Präsident wird Boris Jelzin. Jelzin, ja, der trinkt viel, der tanzt gerne und ist die Westen sehr beliebt. Er privatisiert die sowjetischen Staatsbetriebe, sie kommen in die Hände blutjunger Unternehmer aus Moskau. die fröhnen dem Kapitalismus amerikanischer Prägung und werden über Nacht zur Mächtigen Geldelite. Man nennt sie: Die Oligarchen.

 

Putin bleibt in Sankt Petersburg. Er macht Karriere in der Stadtverwaltung und umgibt sich mit ehemaligen Spionen und zwielichtigen Geschäftemachen. 1996 wechselt Putin nach Moskau in den Kreml. Und dort setzte er seine Karriere fort - bis hin zum Premierminister. 1999 tritt Boris Jelzin überraschend zurück und übergibt die Macht an Wladimir Putin.

 

Moderator Yves Bossart: Ja, wir haben gesehen: Angefangen hat alles im Geheimdienst KGB als Spion. Wie stark hat diese Geheimdienstvergangenheit sein … Weltbild geprägt?

 

Michel Eltchaninoff: In erster Linie ist Wladimir Putin ein Produkt der Sowjetunion. Er glaubt nicht unbedingt an den Marxismus als Wirtschaftssystem, aber an den sowjetischen Patriotismus, an die Größe der Sowjetunion. Er ist geprägt von der Idee, dass die Sowjetunion eine Großmacht ist und bleiben muss - selbst auf die Gefahr der Feindschaft. dem Westen gegenüber. Diese Anschauung besteht weiter.
Ebenso prägend war das [oder der] KGB. Er erzählt in seiner Autobiografie, wie er als Sechzehnjähriger an den Toren der KGB-Zentrale in Leningrad - dem heutigen Sankt Petersburg -  angeklopft und um Aufnahme gebeten hat. Der Agent, der ihm öffnete, habe ihm beschieden, sich erst nach einem Jurastudium wieder beim KGB zu melden.  

Für ihn ist das KGB eine Eliteschule und nicht der Geheimdienst, der Dissidenten misshandelt und verfolgt oder die moralische Schuld für den GULAG. Seine Agenten sind für ihn die besten Staatsdiener. Während des KGB im Inneren und gegen außen ein Symbol der Unterdrückung ist, sieht er darin eine Art „höhere Verwaltungsschule“, dank der er Teil der Elite der UDSSR wird.
Als die Sowjetunion 1991 zusammenbricht, ist dies für ihn eine Tragödie, weil damit alle seine Jugendideale, den Patriotismus, der Dienst am Staat, die Opposition gegenüber dem Westen in Trümmern liegen.

Moderator Yves Bossart: Aber in diesem Geheimdienst steckt ja auch eine andere Idee,  neben dieser Elite: Nämlich das „geheime Machenschaften“ dahinter stecken könnten: Dass das, was die Leute sagen, nicht das ist, was sie wirklich denken - diese zwei Ebenen kann man vielleicht sagen - auch diese Paranoia also dieses Misstrauen gegenüber dem Westen.

 

Michel Eltchaninoff:  Beim KGB geht es darum, seine Gefühle zu verbergen und andere zu manipulieren. Wladimir Putin hat offensichtlich gelernt, eine Maske zu tragen, um Angst zu schüren oder andere in seinen Bann zu ziehen. Vor allem aber hat er gelernt, seine Absichten zu verheimlichen. Er kann wochenlang schweigen, während er seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen zieht, nur um dann plötzlich (wie am vergangenen Montagabend) eine große Rede zu halten, in der er die Anerkennung der separatistischen Republiken ankündigt und den Westen und vor allem die Ukraine aufs Heftigste brüskiert.  

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1143 (Sendeminute 19:03)

Er spielt mit seinem Image. Dazu gehört auch seine Geheimnistuerei rund ums Geld. Als stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg wurde er in den 1990er Jahren mit der Mafia und der Korruption in Verbindung gebracht. In jüngster Zeit ließ er sich an einem prächtigen Palast am Schwarzen Meer errichten. Er wusste seine Stellung beim KGB dazu zu nutzen, sein Ziel, reich zu werden, zu verbergen. Man darf nicht vergessen, dass Russland eine Kleptokratie ist: Russland wird heute von Männern regiert, die durch und durch korrupt sind. Putin und seiner Entourage (sein Umfeld) zieren sich nicht Geld, das dem Volk zusteht, zu entwenden und damit Yachten, Flugzeuge und Grundstücke zu kaufen und darauf Schlösser zu bauen. Das KGB dient auch dazu, solche Aktivitäten zu verschleiern. 

 

Moderator Yves Bossart:  Das heißt, dass dahinter mafiöse Strukturen stecken und es  eigentlich auch auch ums Geld geht, nicht nur um die Macht. Er präsentiert sich ja auch (wir haben gesehen seine Judo-Vergangenheit als Kämpfer) gerne oben ohne - was ja eigentlich sehr sonderbar ist für einen Politiker seines Ranges. Seine Hobbys? Wir sehen ihn hier auf dem Pferd - andere Bilder gibt es, wo er beim Fischen ist und so weiter. Wir kennen das. Wie deuten Sie diese Bilder, was haben Sie für eine Funktion?

 

Michel Eltchaninoff:  Sobald er an die Macht gekommen ist, hat Putin als erstes die Fernsehsender unter seine Kontrolle gebracht. Er nötigte den Oligarchen Vladimir Gusinsky, sein Medienunternehmen und damit auch den ersten russischen Fernsehkanal zu verkaufen. Mit seinem KGB Hintergrund weiß Wladimir Putin um die Bedeutung öffentlicher Bilder und der Kommunikation. Er wollte sich abheben vom Bild früherer sowjetischer Führer, insbesondere von Boris Jelzin (der herzkrank war und den Wodka zuneigte) und sich als dynamischen, jungen, muskulösen und unerschrockenen Führer zeigen.

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1269 (Sendeminute 21.09)

 

Er schuf einen eigentlichen (New-Age-)Personenkult, in dem er sich mit nacktem Oberkörper und als Sportler präsentierte. Das funktionierte anfangs sehr gut. Die Russen wollten das Bild eines Führers, der weder alt noch Alkoholiker war [wie Putins Vorgänger Jelzin] , er verdiente dieses Image.

In den letzten Jahren aber spotten die Russen ein wenig über diesen Personenkult. Man würde es bevorzugen, dass Wladimir Putin sich besser um Schulen, Krankenhäuser, Eisenbahnen und Straßen kümmern würde, anstatt sich beim Jagen oder Fischen zu zeigen.

Das Ganze ist also auch heute noch sehr wichtig für seine Selbstdarstellung, die allerdings heute etwas altmodisch wirkt.

 

Moderator Yves Bossart:  Ja, ich meine, das ist ein wichtiger Pfeiler, diese Selbstinszenierung seiner Person, aber auch seiner Politik. Sie haben es uns gesagt. Von Anfang an hat er sozusagen die Medienstationen übernommen und jetzt gibt es dieses „Russia-Today“, wo er auch im Ausland versucht, ein russland-freundliches Bild zu verbreiten. Das heißt, diese sanfte Macht der Medien, diese Desinformation, die Propaganda ist ganz, ganz zentral für seinen Politikstil.

 

Michel Eltchaninoff:  Vladimir Putin sieht sich als Erneuerer der Ideologie Russlands. er   glaubt, dass er Russland aus dem Kommunismus herausgeführt hat, ausgehend von einer neuen Ideologie, die man erstmal als nationalistisch bezeichnen könnte.

Vor allem aber sieht er sich als ideologischen Pol für die ganze Welt. Dafür braucht ihr Fernsehsender, die ins Ausland strahlen (wie Russia Today oder Sputnik) und Wasserträger in allen Ländern der Welt, die seiner globalen Rolle Einfluss verleihen.

Putin zeigt sich dem Westen gerne als „Joker“ in „Batman“ - das Böse, für das man eine Hassliebe empfindet). Er ist politisch unkorrekt und spricht die Dinge aus, die die Regierenden nicht zu sagen wagen. Er ist manchmal etwas grobschlächtig und brutal, er will dem Publikum auf der ganzen Welt gefallen, sogar den Amerikanern und den Europäern, indem er anders ist.

Vor allem ist der gegen die „Amerikanisierung“ der Welt. Seit er an der Macht ist, hat Putin weltweite Propaganda betrieben. Dies läuft wie gesagt über Fernsehsender, aber auch über politische Multiplikatoren in aller Herren Länder. Es gibt überall Politiker, die Putin unterstützen - und es läuft über Zeitungen. Wladimir Putin will ein ideologischer Leuchtturm für all diejenigen sein, denen die Welt so wie sie ist, nicht gefällt. Das hat ziemlich gut funktioniert.

 

 

Moderator Yves Bossart:  Aber das war ja nicht immer so. Also, am Anfang seiner Präsidentschaft hat er eine Rede gehabt als sehr bemerkenswert - auf Deutsch muss man sagen, in Deutschen Bundestag. 2001 war das und das ist ein anderer Wladimir Putin damals gewesen. Wir hören ihm mal kurz zu:

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1437 (Sendeminute 23.59)

Russland ist ein freundliches europäisches Land. Für unser Land, das ein Jahrhundert von Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile Frieden oder Kontinent das Hauptziel. Wie bekannt haben wir den Vertrag über das allgemeine Verbot von Atomtests, den  Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Konvention über das Verbot der biologischen Waffen sowie [das] Start-II-Abkommen ratifiziert. Leider folgen nicht alle Nato Länder unserem Beispiel. Heute müssen wir auch fest und endgültig erklären: Der Kalte Krieg ist vorbei. Heute sind wir verpflichtet zu sagen, dass wir unsere Stereotypen und Ambitionen loswerden und der Bevölkerung Europas und der ganzen Welt Sicherheit zusammen gewährleisten. Und … ganz ehrlich gesagt …. schlägt, unter dem allem das starke lebendige Herz Russlands,  welches für vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist.

 

Moderator Yves Bossart:  Ja, wenn ich Sie recht verstehe, dann spricht hier schon der Stratege, der Wolf im Schafspelz.

Michel Eltchaninoff: Tatsächlich verfolgt Wladimir Putin während seiner ersten Amtszeit als Präsident bis 2004 eine „Politik der offenen Tür“ zu Europa und den westlichen Ländern.

Wenn er nach Deutschland reist, zitiert er sehr oft den berühmten Text zum „Ewigen Frieden“ des deutschen Philosophen Immanuel Kant. Putin sagt, dank Kant und dank der Tatsache, dass Russland europäisch ist, so wie Deutschland europäisch ist, werden wir einen „Ewigen Frieden“ errichten. Unsere Generation wird die Welt nach dem Kalten Krieg aufbauen. So klingt das in den frühen 2000er Jahren.

Gleichzeitig sagt er in China: Wir sind gegen jede ausländische Einmischung in die Politik eines Staates.

Moderator Yves Bossart:  [Er will] Allianzen nach allen Seiten],

Michel Eltchaninoff: Genau. Er beobachtet das Geschehen und sieht den Beitritt der ehemaligen Sowjetrepubliken zur Europäischen Union. Auch in den baltischen Staaten und in Georgien, einer weiteren ehemaligen Sowjetrepublik, gibt es eine demokratische Revolution?

Der Gedanke wächst in ihm, dass die früheren Sowjetrepubliken sich zu sehr dem Westen zuwenden. Von da an ändert sich seine Haltung dem Westen gegenüber von einer ironischen zu einer zunehmend feindseligen Politik.

Moderator Yves Bossart: Dann kommt diese konservative Wende bei Putin, wie man das oft nennt. Sie haben uns gesagt, es gibt diese Rosenrevolution in Georgien 2003 und 2004 dann die Orangene Revolution in der Ukraine. Es gibt auch eine „Tragödie von Beslan“. Die beschreiben sie in ihrem Buch, sie ist auch  sehr wichtig gewesen: Tschetschenische Rebellen nehmen da eine eine Schule in Geiselhaft, und Putin beschließt dann, dass er die Gouverneure von nun an selbst bestimmt und die Macht zentralisiert. Was würden Sie sagen, gibt es so Ereignis, wo diese konservative Wende ausgelöst wurde oder sind das irgendwie … einige Einflüsse, die dazu geführt haben, so in diesen 2003/4er Jahren

 

Michel Eltchaninoff: Diese konservative Wende (Putins) vollzog sich allmählich und wurde von mehreren Faktoren beeinflusst.

Es gab internationale Elemente wie den Beitritt der baltischen Staaten zur Europäischen Union und die demokratischen Revolutionen in der Ukraine und in Georgien.

Mit der Tragödie in Beslan - als russische Schüler von tschetschenischen Terroristen als Geiseln genommen wurden - verliert ihr jedes Vertrauen in die russische Kommunalverwaltung und die Demokratie in Russland.

https://www.youtube.com/watch?v=ASXAkkHTIG0&t=1437s (Sendeminute 27:47)

Es folgt, was er die „Vertikale der Macht“ nannte: Putin greift immer stärker gegen innen durch und wird immer misstrauischer gegen außen. Er entwickelt eine Art Paranoia, gemäß  Zuwendung der ehemaligen Sowjetrepubliken zur Demokratie und zu Europa das Ergebnis von Operationen ausländischer Geheimdienste sei. Damit wächst sein Misstrauen gegenüber dem Westen.

 

Moderator Yves Bossart: Also dieses Misstrauen, dass er wieder irgendwie die Einflüsse des Westens überall sieht, auch bei demokratischen Revolutionen und Widerständen im Inland und im Ausland! Was würden Sie sagen, heißt überhaupt konservativ für Wladimir Putin? Welche Vorstellung von Konservatismus hat er da? 

 

Michel Eltchaninoff: Er betont zunehmend seine konservative Haltung, wobei es sich nicht um einen rückwärtsgewandten Konservatismus handelt, der unbedingt in die Vergangenheit zurückführt, sondern das Beste aus der Vergangenheit bewahren will, wie ihr immer wieder bekräftigt. Insbesondere nach 2010, 2012,13 sagt er: „Ich bin ein Konservativer“ und wendet sich damit gegen alles, was seiner Meinung nach die Dekadenz Europas fördert: Den Abfall von den christlichen und moralischen Wurzeln des europäischen Kontinents. Putin fällt in einen eindeutig homophoben Diskurs, der sich gegen Homosexuelle richtet. Er betont dass eine „Gay Pride Parade“ in Russland niemals möglich wäre.

2013 verabschiedet er ein Gesetz gegen das, was er als homosexuelle Propaganda bezeichnet: Wer in Russland ein Bild zeigt, das mit Homosexualität in Verbindung steht, kann dafür ins Gefängnis kommen. ER stellt sich insbesondere auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, die zu diesem Zeitpunkt in Frankreich und anderswo beschlossen wird.

Damit festigt er das Bild Russlands als Hort eines Konservatismus, der sich gegen Masseneinwanderung und Homosexualität wendet und für die christlichen Wurzeln einsteht und sich so vom dekadenten Europa abhebt.

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1807 (Sendeminute 30:07)

 

Moderator Yves Bossart: Also es ist einerseits diese Gegnerschaft gegen die Homophobie! Warum das so wichtig ist,  müssen sie vielleicht noch erklären … warum das so eine zentrale Frage  ist, also ein traditionelles Familienbild [und] christliche Werte. Könnte man auch sagen,  … die Religion wird wieder wichtig als Abgrenzung - und auch die Technologie! Also er wendet sich auch oft gegen das Internet (benutzt also keine Email habe ich gelesen von ihnen). Das ist ja also von vorgestern!

 

Michel Eltchaninoff: In der Tat: Putin fördert die traditionelle Familie mit Kindern aus seiner heterosexuellen Verbindungen aus demografischen Gründen. In einer ziemlich abstrusen Erklärung lehnt er die Homosexualität ab, weil er will das russische Familien mehr Kinder bekommen. Dabei setzt er auf religiöse Werte.

Da sich der Westen von seinen religiösen Werten abgewandt habe, liege es nun an Russland, sich in Europa als Garant und Hüter der christlichen Werte zu zeigen.

 

Moderator Yves Bossart: Ja aber das ist sehr lustig. Die Religion ist für ihn wie das Fundament der Moral also er spricht da vom „Heiligen Russland“, eine spirituelle Wiedergeburt Rußlands nennt er das was er will. Aber wie ist das zu deuten: Ist das eine eine Instrumentalisierung der Religion für seine politischen Ziele? Sie haben am Anfang hat das ideologische Vakuum angesprochen nach dem Zusammenbruch der UdSSR!  Oder ist das ein echtes Glaubensbekenntnis? Hängt ihm etwas an dieser Religion, am orthodoxen Christentum?

 

Michel Eltchaninoff: Wladimir Putin bezeichnet sich selbst als gläubig. Seiner Meinung nach basiert jede Moral auf religiösen Werten - hier weicht er offensichtlich von Kant ab, wonach eine Moral allein auf den Vernunft gründen kann.

Er glaubt, die Religion müsste der Moral Leben einhauchen. Er spricht davon, wie ihm seine Mutter als Kind ein Kreuz geschenkt hat: Man weiß von seinem Beichtvater und dass er manchmal in die Kirche geht und sich im Klöster zurückzieht.

Aber all das ist in Wirklichkeit auch eine politische Instrumentalisierung: Religion   (insbesondere die orthodoxe Glaube) war im Marxismus verboten und erlebte in den 1980-er und 90er Jahren und vor allem nach dem Fall des Kommunismus eine Renaissance.

Putin nutzt die Orthodoxie um einen Teil seiner Wählerschaft zu gefallen und um seine Treue zu den christlichen Wurzeln zu beweisen.

Wie weit ist mit seinem Glauben her ist, wissen wir nicht. Wladimir Putin ist wie gesagt dann Schauspieler und ein Geheimagent es ist schwierig zu wissen, was ihr glaubt.

Vor allem aber will er es glauben machen! Sie sprachen von seinem Misstrauen dem Internet gegenüber. Es ist in der Tat paradox, dass Putin das Internet nutzt, um politisch Einfluss zu nehmen. Bekanntlich versuchen die russischen Geheimdienste, Wahlausgänge im Ausland zu beeinflussen oder sich da in Wahlen einzumischen. Dennoch misstraut Putin den Internet. So lässt er sich vom FSB [der Nachfolgeorganisation des KGB], dem Inlandsgeheimdienst mittels „roter Akten“ informieren!  

 

Moderator Yves Bossart: Er lässt sich einfach informieren, von ein paar Menschen, die zu ihm kommen und ihm die Informationen servieren und das hält er dann für die Wirklichkeit!?

 

Michel Eltchaninoff: Darin liegt das Problem: Russische Soziologen, mit denen ich mich kürzlich unterhielt, erzählen mir dann auch, dass Wladimir Putin wohl von der Realität abgeschnitten ist. In seinem Gegennarrativ, das wir vorher besprochen haben, sinnen die NATO und der Westen auf Rache, aufgrund der Existenz der Größe und der Unabhängigkeit Russlands. Dies zwingt ihn zum Handeln. Diese Erzählung ist in sich schlüssig, aber hat eine paranoide Dimension, weil sie nicht unbedingt der Realität entspricht.

So stellt sich tatsächlich die Frage, inwieweit Putin heute abgeschottet ist von den Realitäten seines Landes. Sein Land leidet: Es gibt viel Armut in Russland, die Inflation ist sehr hoch und es herrscht Korruption. Heute betreibt Putin vor allem eine nationalistische Politik der Vergeltung gegenüber dem Westen, Er täte wohl besser, daran sich um die wahren Probleme zu kümmern, unter denen die Russen heute leiden.

 

Moderator Yves Bossart: Also das Selbstbild ist wirklich so, dass die Aggression von außen kommt (der Druck) und Russland muss sich verteidigen. Das war bei Napoleon so (1812) und das war 1941 gegen die Nazis so. So ist das Selbstbild; Russland wird an den Rand gedrängt, sagt ja Putin auch immer. Also man kann Putins Politik - wenn ich sie recht verstehe - auch als Antwort auf diverse Kränkungen verstehen: Angefangen mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Zusammenbruch der Sowjetunion [bzw.] der UdSSR ist für Putin „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“: Also nicht etwa der Zweite Weltkrieg oder die Machterweiterung Stalins, sondern der Zusammenbruch der Sowjetunion!

Und die zweite Kränkung dann zum Beispiel 1999, wo die NATO in Serbien und Kosovo interveniert (zwei historische Verbündete von Russland) ohne UN-Mandat! Würden Sie sagen, solche … narzisstische Kränkungen können die die Politik Putins ziemlich gut erklären?

 

Michel Eltchaninoff:  Wladimir Putins Politik basiert auf dem Gedanken der Rache für die angeblich erlittenen Demütigungen Russlands. Die Sowjetunion ist [aber unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen. Gorbatschow, der letzte sowjetische Generalsekretär, hatte die „Perestroika“ ins Leben gerufen, um die Sowjetunion zu retten und musste erkennen, dass die kommunistische Planung nicht mehr griff.

Die Sowjetunion fiel auch aufgrund innerer Spannungen, weil Georgien und die baltischen Sowjetrepubliken auf ihre Freiheit drängten. Letztendlich ist die Sowjetunion selbst schuld an ihrem Untergang.
Vladimir Putin sieht die Schuld aber bei anderen; den Amerikanern und den Europäern.

In der ganzen Zeit seiner Herrschaft, die im Jahr 2000 begann und nach einer Verfassungsänderung bis 2036 dauern kann (und somit historisch ist), versuchte er, sein Volk davon zu überzeugen, dass man auf Angriffe von außen reagieren muss.

Es ist eine Umkehrung der Tatsachen: 2008 hat Putin in Georgien militärisch eingegriffen. 2014 annektierte die Krim und unterstützte die Separatisten im Donbass. Heute greift er wieder militärisch in die Ukraine ein. Er ist also der Angreifer und rechtfertigt sieh stets mit der Begründung, die anderen hätten begonnen. Seine Politik erfolgt aus einer Kränkung, sein politisches Denken gründet auf Rache und Vergeltung.  

 

IDELOGISCHE VORBILDER

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2228 (Sendeminute 37:08)

Genau für diese Politik sucht er sich auch ideologische Vorbilder:  Er hat Einflüsse, er liest bestimmte Dinge. [Sie beschreiben dies] am Anfang ihres schönen Buches schreiben („In Putins Kopf“), was leider vergriffen ist.  

Er schenkt all seinen Beamten im Jahr … 2014 drei Bücher - sozusagen als Pflichtlektüre.

Und der eine Philosoph - der eine Denker - ist ganz wichtig,  den schauen wir uns jetzt einmal an, er ist auch Vordenker des Konservatismus – Iwan Iljin , also ein Philosoph, Gegner der Bolschewiki, ein  konservativer Monarchist [und] Slawophiler: Er wurde 1922 aus Russland verbannt, lebte dann lange in der Schweiz und ist auch in der Schweiz in Zollikon [nahe Zürich] gestorben.  

Wer war dieser Iwan Iljin und …. seit wann ist er so wichtig fur Putin …?

 

Michel Eltchaninoff:  Iwan Iljin mag in der Geschichte der zeitgenössischen russischen Philosophie keinen großen Platz einnehmen, umso wichtiger ist er aber für Putin.

Es wird erzählt, dass Nikita Michalkow (ein berühmter Filmemacher und Autor des Films

Schwarze Augen“) Putin mit dem Werk von Iljin vertraut gemacht hat.

Offenbar schenkte er Putin die Werke von Iwan Iljin mit der Bemerkung, darin läge eine russische Prophezeiung, die Wladimir Putin verkörpern würde.

Iwan Iljin wurde vor der Revolution geboren und 1922 (wegen seiner Gegnerschaft zu den Kommunisten) aus der UdSSR ausgewiesen.

Er lebte während des Aufstiegs der Nazis in Deutschland und ging dann in die Schweiz. Er wurde tatsächlich in Zollikon beerdigt, aber sein Leichnam wurde 2005 auf ausdrücklichen Wunsch Putins nach Russland zurückgebracht.

In den 1950er Jahren beschäftigte sich Iljin damit, was aus Russland nach dem Fall des Kommunismus werden könnte.

Seine einfachen Ausführungen müssen Wladimir Putin tief beeindruckt haben.

Iljin sagt, nach dem Kommunismus werden ausländische Kräfte versuchen, Russland zu kolonisieren und zu zerstückeln. und in einen Kriegsherd zu verwandeln, um es klein zu halten. Es sei denn, es gelingt einem jungen tatkräftigen Führer, das russische Volk zu vereinen um die Aggression des Westens Einhalt zu gebieten und Russland seinen einstigen Stolz zurückzugeben.

Die Texte von Ivan Iljin haben mir die Augen geöffnet. Vladimir Putin hat Iljin mehrmals bei sehr wichtigen Reden zitiert. Sein Werk enthält die Prophezeiung eines siegreichen antiwestlichen Russlands. allerdings um den Preis einer Konfrontation mit dem Rest der Welt.

Putin ließ sie von ihm stark inspirieren: Er sagte noch 2021, dass Ivan Iljins Buch auf seinem Nachttisch liegt und er es oft konsultiere - für einen Entwurf eines Russlands, frei von westlicher Einflussnahme.

Tatsächlich verteilte Putin das Buch an alle Beamte, die nun - mehr oder weniger freiwillig -  die Werke dieses Philosophen lesen müssen!

 

Moderator Yves Bossart:  Also, das ist eigentlich eine wahre Bibel, sein politisches Programm steckt da in diesen Schriften von Ivan Iljin!

 

Michel Eltchaninoff:  Ja, aber es gibt auch andere Referenzen. So bezieht sich Putin gerne auf einen durchaus großen russischen Philosophen, Nikolai Berdjajew, der russische Revolution miterlebt hat und dann nach Frankreich gezogen ist.

In „Philosophie der Ungleichheit“ von 1918 gibt es ein Kapitel über den „Konservatismus“ und auch dieses zwingt Putin alle hohen Beamten des Landes zu lesen, indem er erklärt: Die Lösung für eine sich schnell verändernde Welt bestehe darin, konservativ zu sein. Ich denke dass Putin hier die Aussagen von Nikolai Berdjajew … völlig verdreht!

 

Moderator Yves Bossart:  Ein Missverständnis?

Michel Eltchaninoff:  Er hat ihn schlicht nicht verstanden. Berdjajew selbst sagte, mein Konservatismus ist nicht politisch, er ist ein rein moralischer Konservatismus.

Aber es schmeichelt Putin, sich auf Philosophen zu beziehen und sagen zu können: „Seht her,  Ivan Iljin und Nikolai Berdjajew haben mein eigenes politisches Programm vorweggenommen!“ Er zitiert auch noch ganz andere Autoren und seine Reden und kulturell zu untermauern und seinem Volk zu zeigen, dass seine Weltanschauung auf einer langen intellektuellen Geschichte beruht.

Moderator Yves Bossart:  Und es gibt auch aktuelle Denker, die er gerne zitiert. und die  eine gewisse Nähe haben. Eine sehr schillernde, umstrittene, gefährliche Figur ist Alexander Dugin. Vielleicht sagen sie noch 2 bis 3 Sätze zu ihm. Er ist ein rechtsextremer Politiker und Denker. Er vertritt eine Idee von einem „eurasischen Imperium“. Das ist auch in ihrem Buch sehr wichtig. Sie sagen: Das ist ein Pfeiler von Putins Denken – dieser „eurasische Traum“ Wer ist dieser Dugin? Und was ist damit gemeint -– dieser „eurasische Traum“.

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2548 (Sendeminute 42:28)

 

Michel Eltchaninoff: Alexander Dugin ist ein Vertreter des so genannten „Neoeuraismus“ in Russland und Ideengeber einer extremen oder sogar faschistischen Rechten. Putin interessiert sich weniger für die Person Dugins, die zu extremistisch ist, als dass sie sich mit ihm zeigen würde. auch wenn er seine Bücher liest.

Das Konzept „Eurasien“ aber ist von zentraler Bedeutung. Seit er Präsident ist, betont Putin,  das Russlands Schicksal auch in Asien liegt. Seiner Meinung nach gehört Russland kulturell zu Europa, geografisch aber stärker zu Asien.

Putin macht seinem Volk eine Hinwendung zum Osten schmackhaft und wirbt für ein Bündnis mit Xi Jinpings China, anstatt mit Westeuropa oder den USA. Er stützt sich dabei auf Denker den 1920er Jahre, die man „Eurasisten“ nennt.

Sie vertraten die Meinung, dass Russland nicht wirklich zu Europa gehört, sondern zu einem eigenen kulturellen geografischen und politischen Raum („Eurasien“), der weder China noch Europa ist, sondern seine eigenen Werte und Merkmale hat und deshalb ergründet werden soll. Tatsächlich zitiert Wladimir Putin manchmal eurasische Denker, um sich von einem Westeuropa abzugrenzen, dass satt, müde und dekadent geworden sei. Wohingegen „Eurasien“ als junger Kontinent expandiere. Folglich müsste sich Russland eher gegen Osten ausrichten.  

 

Moderator Yves Bossart: Das heißt also Allianzen in China (mit China). Aber wie realistisch ist das es da politisch, dass es da einen Bund gibt? Also, welches Interesse hat China mit Russland zusammenzuspannen, angesichts der Tatsache, dass Russland wirtschaftlich gesehen sehr schwach dasteht und eigentlich nur Probleme hat?

 

Michel Eltchaninoff: Diese Frage quält dem Kreml sehr. Man hat sich zu Beginn der Olympischen Spiele vor ein paar Wochen demonstrativ stark China zugewandt. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen Xi Jinping und Wladimir Putin vom Aufbau einer „postwestlichen“ Weltordnung, die auf postdemokratischen Werten basieren würde.

China bietet sich Russland also als Hauptverbündeter an.

Gleichzeitig fürchtet man sich in Russland auch vor China. China ist bekanntlich ein extrem bevölkerungsreiches und dynamisches Land. Russland hingegen ist extrem leer. groß und rohstoffreich. Dem Wunsch, sich mit China gegen den Westen zu verbünden, steht die Angst vor China entgegen, das bereits seine Fühler nach den russischen Rohstoffvorkommen und den riesigen russischen Raum ausgestreckt hat. Das Bündnis dient Putin derzeit dazu, den Westen zu ärgern, es ist aber auch sehr riskant für Russland.

 

Moderator Yves Bossart: Wie deuten sie das? Also, dieser Rohstoffreichtum Russlands - das ist ein Fakt und Russland ist abhängig davon, für den Export. Aber auch der Westen ist abhängig [von Russland], insbesondere Deutschland: Wir haben die Debatten mitverfolgt  über die Pipeline „Nord Stream 2“. Deutschland bezieht die Hälfte des Öls und des Gases aus Russland derzeit, ist also sehr abhängig. Ist dieser Rohstoffreichtum für Russland eher ein Segen oder ein Fluch für die Zukunft?

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2782 (Sendeminute 45:22)

 

Michel Eltchaninoff: [Er] ist insofern ein Segen, als sie dem Land sehr hohe Devisenreserven verschafft. Hohe  Rohstoffpreise haben es Russland in den letzten 20 Jahren erlaubt, seine Armee zu modernisieren und Militäroperationen und andere Dinge zu finanzieren. Russland ist dank seiner Rohstoffe reich geworden, dieser Reichtum hat aber auch zu Problemen geführt, weil sich Russland seit 25 Jahren darauf verlässt und die Entwicklung seiner Industrie vernachlässigt und wenig in die Kreativität seiner Forscher und Ingeneure investiert hat.

Damit ist Russland in gewisser Weise - trotz seiner Reserven - eine sehr fragile Macht.

Es reicht, dass die Rohstoffpreise sinken damit Russlands plötzlich mit sehr viel weniger Mitteln auskommen muss.

Leider hat es Russland verpasst, dieses Geld dafür einzusetzen, die Industrie im Land wieder aufzubauen und im Interesse der Bevölkerung die Infrastruktur und die Qualität vieler Schulen und Krankenhäuser zu verbessern.

Die Situation ist insofern paradox, dass ein enorm großes und reiches Land eine verarmte Bevölkerung hat, die der nationalen Überhöhung und wohl auf Wladimir Putins überdrüssig geworden ist. Seine Umfragewerte sind viel schlechter als vor 6 oder 8 Jahren. Bei seinem Wunsch, im Zentrum der Welt zu stehen, hat Wladimir Putin wohl einfach sein Volk vergessen.

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2886 (Sendeminute 48:ß6)

Moderator Yves Bossart: Genau dieses Volk, das interessiert ihn auch nicht wirklich, wenn ich sie richtig verstehe. Er nennt zwar Russland eine Demokratie (eine gelenkte Demokratie glaube ich ist er der Ausdruck). Was hat er für ein Demokratieverständnis? Sie haben die  Allianz mit China angesprochen und gesagt, da geht es eigentlich nicht um Demokratie, sondern um was anderes. Was stellt sich Putin unter einer - in seinen Augen gelungenen - Demokratie vor?

 

Michel Eltchaninoff: Die Antwort findet sich beim Autor, den er am häufigsten zitiert und über den wir gesprochen haben: Iwan Iljin, der die westlichen Demokratien kritisiert, weil sie seiner Meinung nach nur auf Wahlen basieren und die Führung sehr oft alle 4, 5 oder 7 Jahre wechselt.

Iljin plädiert für eine Demokratie per Akklamation, indem das Volk ein und denselben Führer auf lange Zeit bejubeln kann. Genau das hat Putin erfolgreich geschafft: Er ist seit 2000 praktisch ununterbrochen an der Macht und kann dies bis 2036 bleiben.

Er glaubt also, eine Demokratie per Akklamation geschaffen zu haben, in der ihm das Volk dafür dankte, dass er weitermacht. Das Problem ist natürlich, dass es sich dabei um eine Scheindemokratie handelt. Es gibt in Russland keine demokratische Debatte vor einer Präsidentschaftswahl. Putin wird sich nie dazu herablassen, im Fernsehen mit seinen Gegnern zu debattieren: Darüber hinaus haben ihm nicht genehme Kandidatinnen und Kandidaten kein Recht anzutreten. Er lässt nur Parteien zu, die im Parlament in seinem Sinn abstimmen: Die Kommunistische Partei etwa und eine rechtsextreme Partei. Ein tatsächlicher Oppositioneller wie der Antikorruptions-Aktivist und Blogger Alexei Nawalny wird vom Geheimdienst vergiftet und fast umgebracht. Und wenn dieser Nawalny nach Russland zurückkehrt, wird er ins Gefängnis gesteckt. Es ist also eine  potemkinsche Scheindemokratie:

Putin hat das Bild einer Art New-Age Demokratie, einer „Beifallsdemokratie“ geschaffen, in der das Volk stolz ist  auf seinen Führer, die in Wirklichkeit aber gegen alle Normen des Respekts vor des Volkes Stimme verstösst.

Moderator Yves Bossart: Wie groß ist die Opposition, und Widerstand in Russland derzeit noch, wie viele Menschen glauben mittlerweile der Propaganda? Sie lesen ja beides, also die westlichen Medien aber auch die russischen Zeitungen und schauen sich beides an. Es gibt ja auch die Idee oder die Meinung die Westen noch vertreten wird, zum Beispiel von der linken Politikerin in Deutschland Sahra Wagenknecht, dass wir bezüglich Russland ein Einseitiges, ein zu negatives Bild haben und immer nur die schlechten Seiten sehen. Wie deuten sie das?

Einerseits stimmt das, was Wagenknecht sagt haben wir ein zu negatives Bild von Russland und die andere Frage wäre: Die Bevölkerung Russland selbst, wie stark glauben sie das, was sie da täglich gesagt bekommen und lesen von Putin und seinen Beamten?

Michel Eltchaninoff: Lassen Sie mich zuerst Ihre zweite Frage beantworten: Ich hatte vor einigen Tagen ein langes Telefongespräch mit dem Direktor des angesehenen unabhängigen Meinungsforschungsinstituts „Levada Zentrum“.  Er erklärte mir, dass die antiwestliche Propaganda im Fernsehen 50% der Bevölkerung erreicht: Vor allem Menschen, die auf dem Land leben eher arm und über 55 Jahre sind.  Die andere Hälfte der Bevölkerung die jünger als 55 ist eher in den großen Städten lebt gebildeter ist und sich im Internet bewegt (was ja in Russland nicht völlig zensiert ist, so dass man Zugang hat zu unabhängigen Informationen) glaubt der Staatspropaganda nicht mehr. Die Macht der russischen Propaganda, die glauben machen will der Westen warte nur darauf Russland anzugreifen, schwindet.

Als Putin 2014 die Krim annektiert, löst das eine nationalistische Begeisterung aus. Alle Russen sind stolz und die Propaganda funktioniert sehr gut. Ein paar Jahre später, als die Menschen mit realen Problemen konfrontiert sind funktioniert das weniger gut.

Dann zu ihrer anderen Frage, zum Bild, das wir uns von Russland machen. Man muss die Dinge trennen: Russland ist ein enorm spannendes Land; aus kultureller und wissenschaftlicher Sicht, aus der Sicht der Kreativität und des sozialen Erfindungsreichtums. Ich liebe das Land seit jeher leidenschaftlich, auch wenn ich nur ein paar Jahre dort gelebt habe. Ich liebe es, weil es kreativ und überraschend ist. Die Kreativität sonst der Erfindergeist der Russen sind außergewöhnlich. Man muss die Liebe und das Interesse für dieses Land von den Handlungen seiner Führer trennen, die seit 20 Jahren in gleicher Besetzung an der Macht sind. Dagegen kann die Bevölkerung heute nichts tun. Sämtlichen Demonstrationen - das letzte Mal zur Unterstützung Alexei Nawalnys 2021 - wird mit äußerster Härte begegnet. Viele junge Menschen landen 2 Wochen im Gefängnis und werden gebüßt. Es ist unmöglich in Russland zu protestieren.  Ich glaube aber, dass die Russen wir nationalistischen Machtdemonstrationen überdrüssig geworden sind . Sie wollen heute ihr Leben leben, sie wollen arbeiten, Geschäfte tätigen, ungehindert reisen und sehen im Westen nicht unbedingt einen Feind.

Was heißt das für Putin? Er wird im Oktober 70 Jahre alt. Mit dem, was er gerade in der Ukraine tut versucht er erneut, die nationalistischen Gefühle seines Landes zu schüren und nimmt dabei einen Krieg in Kauf.

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=3240 (Sendeminute 54:00)

Wird er damit Erfolg haben? Werden die Russen in die nationalistische Bresche stoßen, die er  aufreißt. Wir werden das in den kommenden Wochen sehen!

Klar ist, dass Wladimir Putin an den nationalistischen Fäden zieht wie er das schon sehr lange tut. Ich bin mir nicht sicher, dass die russische Bevölkerung ergeben folgt.

Moderator Yves Bossart: Haben Sie eine Prognose, was daraus wird? Also die These ist: Er regiert an seinem Volk vorbei, schon seit längerer Zeit ! … Haben sie eine Prognose,  was was kommen könnte?

Michel Eltchaninoff: Auf innenpolitischer Ebene wird nichts geschehen, weil es keinen Raum für irgendwelche Opposition gibt. Jede mögliche Opposition wird entweder von der Macht gezähmt, indem man Parteien gründet, die sowieso für den Kreml stimmen werden oder man verfährt mit mir wie mit Alexei Nawalny, der nach einem Mordversuch wohl sehr lange im Gefängnis bleiben wird. Eine politische Opposition wird also nicht auftauchen.

Vielleicht wird es zu sozialen Unruhen kommen, vielleicht werden sich einzelne Regionen in Sibirien gegen die staatlichen Übergriffe wehren, aber eine strukturierte politische Opposition schließe ich aus!

Nach außen hin lässt sich keine Prognose stellen. Klar ist, dass Putins Diskurs auf Dauer sehr kohärent ist, er mag von der Realität abgekoppelt sein, aber Putin bleibt auf seiner Linie. Er ist bereit in der Konfrontation mit dem Westen bis zum Äußersten zu gehen. …

Wie ich in meinem Buch beschreibe, stützt sich diese Diskurs auf Philosophen, die Russland und den Westen als Feinde darstellen.

Dieses Bild gilt es zu überwinden. Es gibt viele russische Philosophen, die Putin natürlich nicht zitiert, die der Ansicht sind, dass Russland und der Westen durchaus miteinander auskommen und sich zusammenschließen können.  

Wir befinden uns heute in einer ziemlich dramatischen Situation;  Der bald 70-jährige Putin ist auf Konfrontation aus. Warten wir ab, was passiert! Auf jeden Fall aber ist Putins Wille, bis zum Äußersten zu gehen, sehr real.

Moderator Yves Bossart: Und was ist für sie die Aufgabe des Westens, jetzt in dieser Situation und auch in den nächsten Jahren - wenn das so weitergehen wird, wenn er die Macht nicht abgibt, wenn er jetzt keine Opposition zulässt, wenn er seinen Plan weiter verfolgt.

Wie hart muss der Westen sein, wie viele Sanktionen müssen müssen gemacht werden

- aus ihrer Sicht?

Michel Eltchaninoff: Ich bin selbst kein Politiker, deshalb habe ich darauf keine Antwort. Ich denke, man muss den Menschen in Russland zu verstehen geben, dass man sie liebt und bereit ist, ihre wirtschaftliche und kulturelle Kreativität zu unterstützen. Das ist etwas, was wir tun können, um Russland zu helfen.

Wladimir Putin nährt sich von unseren Schwächen. Barack Obama sagte 2013, dass ein Einsatz von chemischen Waffen in Syrien eine rote Linie darstelle, die nicht überschritten werden dürfe. Als die Armee von Baschar al Aassad mit Hilfe der Russen chemische Waffen einsetzte, war die rote Linie verschwunden. Putin hat damit verstanden, dass Barack Obama es nicht wagen würde, zurückzuschlagen.

Eine Reaktion des Westens auf Wladimir Putin muss auf Stärke gründen und rote Linien aufzeichnen. Man muss klarmachen, dass die Integrität der Ukraine eine solche rote Linie darstellt. Die Ukraine gehört weder zur Nato noch zur Europäischen Union. Aber das Land hat niemanden angegriffen und hat ein Recht auf seine Integrität. Als Produkt der Sowjetunion versteht Wladimir Putin nur die Sprache der Macht. Die westlichen und die europäischen Länder müssen die Kraft aufbringen, sich eine Politik der Anerkennung einer separatistischen Republik oder gar einer Annektion zu widersetzen.

Moderator Yves Bossart: Also die Forderung ist an den Westen: Eine klare Haltung, klare Linien und klares Abstecken von von roten Linien und wenn die überschritten werden, dann auch dezidiert handeln. Wir haben eine Tour d’Horizon gemacht über die Person Putin, über seine Politik, über seine intellektuellen Einflüsse bis zu einem kurzen Einblick. Die Zukunft wird zeigen was passiert. Ich sage Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!




Putins Mastermind: Iwan Iljin

WDR 5 Scala - aktuelle Kultur 14.03.2022 07:53 Min. Verfügbar bis 14.03.2023 WDR 5. Von Udo Marquardt. Wir wissen wenig über die Gedankenwelt von Wladimir Putin – bis auf eine Ausnahme: Der russische Präsident bezieht sich immer wieder auf den Philosophen Iwan Iljin. Wer war dieser Denker und wie beeinflusst er das heutige Russland? Antworten von Udo Marquardt. 

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala-aktuelle-kultur/audio-putins-mastermind-iwan-iljin-100.html


Russland verstehen - Philosophie und Ideologie in Putins Reich

34:49 Minuten

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ideologie-philosophie-russland-100.html

[Die Ideologie von Dugin wird im ersten Teil der Sendung angesprochen]

 

Sylvia Sasse im Gespräch mit Wolfram Eilenberger · 20.02.2022

 „Panslawismus“ oder „Eurasismus“: Ideologen wie Alexander Dugin fordern einen russischen Sonderweg, aber liebäugeln mit der globalen Neuen Rechten. Sylvia Sasse erklärt das russische Denken – und unterscheidet zwischen Philosophie und Ideologie.

 

Russische Panzer stehen an der Grenze zur Ukraine und sind – so die Einschätzung westlicher Geheimdienste – bereit, dort einzumarschieren. Bei vielen Beobachtern hierzulande löst die Lage nicht nur Entsetzen aus, sondern auch Unverständnis. So richtig verstehen wir nicht, was Putin dazu bringt, dieses Wagnis einzugehen, bei dem es vermutlich für Russland nicht viel zu gewinnen, aber viel zu verlieren gibt.

Wie viel Ideologie steckt im System Putin?

Gibt es Denktraditionen, die helfen zu begreifen, was gerade in Russland passiert – vielleicht sogar einen philosophischen Überbau? Die Slawistin und Literaturwissenschaftlerin Sylvia Sasse sieht keinen genuin philosophischen roten Faden. Sie spricht in diesem Zusammenhang lieber von Ideologie statt von Philosophie.

Denn, so zitiert sie den russischen Gegenwartsphilosophen Michail Ryklin, man habe es derzeit in Russland mit einer „Herrschaft in Reinkultur“ zu tun, die sich auf keine beständige Ideologie stütze, die sich aber sehr wohl ideologischer Versatzstücke bediene. So würden Ideen des Panslawismus oder eines großrussischen Reiches instrumentalisiert. Etwa durch Alexander Dugin, Politikwissenschaftler, Politiker und Publizist:

„Er ist kein Philosoph, er ist eigentlich ein rechtsextremer, ultranationalistischer Demagoge, der in Verbindung mit der extremen Neuen Rechten weltweit steht, nicht nur in Russland“, sagt Sasse. „Er nimmt sich Versatzstücke für etwas, was er selbst Eurasismus nennt.“

Kritik wird als Russophobie gedeutet

Dugins Theorien zufolge seien die Russen ethnisch weder Europäer noch Asiaten und als solche dazu prädestiniert, ein neues großrussisches Reich aufzubauen. „Das ist eine Ideologie, die stellenweise benutzt wird, auch und gerade jetzt, wenn es darum geht, gewissermaßen gegen die Ukraine oder gegen die Kritik im eigenen Land mobilzumachen“, sagt die Slawistin.

Schon vor einigen Jahren habe Dugin ideologische Versatzstücke geliefert, als es darum gegangen sei, die Proteste in der Ukraine als etwas vom Westen Gesteuertes zu lesen. „Auch die ganze Idee einer Russophobie ist sehr stark mit ihm verbunden. Alles, was an Kritik kommt, wird gewissermaßen nationalistisch interpretiert als Russophobie, ist vom Westen aus finanziert.“

Carl Schmitt als Bezugspunkt

Bereits 1994 habe Dugin ein Buch mit dem Titel „Die konservative Revolution“ geschrieben, unterstreicht Sasse. Und in den klassischen deutschen Theoretikern der Konservativen Revolution der Weimarer Republik sieht sie auch seine ideologischen Anknüpfungspunkte: „Dugin bezieht sich sehr stark auf Carl Schmitt, gerade auf dessen Freund-Feind-Schema, auf den Ausnahmezustand, auf die Konzepte von Souveränität.“

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ideologie-philosophie-russland-100.html

 


Der Liberalismus ist eine menschenverachtende Ideologie - Alexander Dugin

https://www.youtube.com/watch?v=7S2BSD8MJmM

Alexander Dugin - Agonie des Liberalismus - deutsch 

https://www.youtube.com/watch?v=TR939G1sXoM