Sozistunde 12310 - In Putins Kopf



Was geht in Putins Kopf vor?

Um  Putin zu verstehen, muss kann man sich seinen Lebenslauf anschauen.

Putin wurde im Jahre 1952 in Petersburg - das damals noch Leningrad hieß - geboren. Seine Kindheit erlebte er in der ehemaligen Sowjetunion, der UdSSR. Es waren die Zeiten des "Kalten Krieges".

Putin war in seinen ersten Berufsjahren Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB.
Nach dem Zusammenbruch der  Sowjetunion 1991 war Putin noch einige Jahre beim russischen Inlandsgeheimdienst FSB tätig.         

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat seine Sicht auf die Weltpolitik stark geprägt. Putin glaubt: "Der Zusammenbruch der Sowjetunion war "die größte geopolitische  Katastrophe des 20. Jahrhunderts."


Hintergrundwissen "Kalter Krieg" - "Zusammenbruch der Sowjetunion"
Als "Kalter Krieg" ist der Konflikt zwischen den den "Westmächten" unter Führung der USA und dem sogenannten "Ostblock" unter Führung der Sowjetunion (UdSSR = Union der sozialistischen Sowjetrepubliken). Der Kalte Krieg begann nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Es standen sich zwei Militärbündnisse gegenüber: Das westliche Militärbündnis NATO (der Nordatlantikpakt) hat den Kalten Krieg überlebt; der "Warschauer Pakt" des Ostblocks wurde mit dem Ende der Sowjetunion 1991 aufgelöst.      

Dieser "Ost-West-Konflikt" war aber nicht nur eine Frage der militärischen Macht. Es standen sich auch unterschiedliche Ideologien/Weltanschauungen gegenüber: Bei den meisten NATO-Staaten, die mit den USA verbündet sind, handelt es sich um freiheitliche Demokratien. In der Sowjetunion und den anderen Staaten des Ostblocks, die unter dem Einfluss der der Sowjetunion standen, herrschte eine Diktatur mit einem kommunistischen bzw. sozialistischen Einparteiensystem.

Die Sowjetunion war ein Vielvölker-Staat, der aus zahlreichen Teilrepubliken bestand: Russland, Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Armenien, Georgien, Estland, Litauen, Lettland, Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan und  Usbekistan.

Unter der politischen und militärischen Kontrolle der Sowjetunion standen aber auch zahlreiche  osteuropäische Staaten, die man dem "Ostblock" zuordnet, und die Mitglieder des "Warschauer Paktes"  waren. Dazu zählten: Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Tschechoslowakei, Albanien und die ehemalige DDR. Wie gesagt: Der Warschauer Pakt wurde von der Sowjetunion dominiert.      

In einigen Staaten des Ostblocks gab es  Volksaufstände gegen die Herrschaft der moskautreuen kommunistischen Partei, die an der Regierung war. Solche Aufstände wurden aber  mit Hilfe "russischer Panzer" niedergeschlagen: Erinnert sei an den Volksaufstand in der ehemaligen DDR am 17.Juni 1953, den Volksaufstand in Ungarn 1956 und den Prager Frühling 1968. 

Europa war in den Zeiten des Kalten Krieges 1945 bis 1989 durch einen "Eisernen Vorhang" in zwei Teile getrennt. Den BürgerInnen der Ostblockblockstaaten war es nicht erlaubt, in den "freien Westen" zu reisen.
Besonders schwerwiegend war die Lage in Deutschland: Die knapp 1400 Kilometer lange innerdeutsche Grenze (auch als deutsch-deutsche Grenze oder "Todesstreifen" bezeichnet) hinderte bis 1989 (durch massive Befestigungen, einem "Schießbefehl" und "Selbstschussanlagen") die Einwohner der DDR an Besuchen der Bundesrepublik Deutschland oder dem dauerhaften Verlassen in Richtung Westen.

Die Berliner Mauer hinderte es Ost-Berlinern nach West-Berlin zu kommen.
Als infolge einer friedlichen Revolution im Oktober 1989 die Berliner Mauer fiel und 1991 die die Sowjetunion zusammenbrach, schien der Ost-West-Konflikts beendet.    .    

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 haben sich die nicht-russischen Unionsrepubliken der ehemaligen Sowjetunion (Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Armenien, Georgien, Estland, Litauen, Lettland, Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan) für unabhängig erklärt. 

Die Russland (genauer: "die Russische Föderation") ist seit 1991 Rechtsnachfolger (also Träger der Rechte und Pflichten) der ehemaligen Sowjetunion. 

Unionsrepubliken ab 1956

Karte Flagge Name der Unionsrepublik heutige Flagge heutiger Staat Amtssprache Gründung
Armenische SSR
Հայկական ՍՍՀ
Republik Armenien
Հայաստանի Հանրապետություն
offiziell keine;
de facto Armenisch
und Russisch
1922
Aserbaidschanische SSR
Азәрбајҹан ССР
Republik Aserbaidschan
Azərbaycan Respublikası 2
offiziell keine;
de facto Aseri
und Russisch
1922
Estnische SSR
Eesti NSV
Republik Estland
Eesti Vabariik
offiziell keine;
de facto Estnisch
und Russisch
1940
Georgische SSR
საქართველოს სსრ
Georgien
საქართველო
Georgisch
und Russisch
1936
Kasachische SSR
Қазақ КСР
Republik Kasachstan
Қазақстан Республикасы
offiziell keine;
de facto Kasachisch
und Russisch
1925
Kirgisische SSR
Кыргыз ССР
Kirgisische Republik
Кыргыз Республикасы
offiziell keine;
de facto Kirgisisch
und Russisch
1926
Lettische SSR
Latvijas PSR
Republik Lettland
Latvijas Republika
offiziell keine;
de facto Lettisch
und Russisch
1940
Litauische SSR
Lietuvos TSR
Republik Litauen
Lietuvos Respublika
offiziell keine;
de facto Litauisch
und Russisch
1940
Moldauische SSR
РСС Молдовеняскэ
RSS Moldovenească 2
Republik Moldau
Republica Moldova
offiziell keine;
de facto Rumänisch
und Russisch
1940
Russische SFSR
Российская СФСР
Russische Föderation *
Российская Федерация
Russisch 1922
Tadschikische SSR
РСС Тоҷикистон
Republik Tadschikistan
Ҷумҳурии Тоҷикистон
offiziell keine;
de facto Tadschikisch
und Russisch
1929
Turkmenische SSR
Түркменистан ССР
Republik Turkmenistan
Türkmenistan Jumhuriyäti 2
offiziell keine;
de facto Turkmenisch
und Russisch
1925
Ukrainische SSR
Українська РСР
Ukraine
Україна Республіка
offiziell keine;
de facto Russisch
bevorzugt gegenüber Ukrainisch 1
1922
Usbekische SSR
Ўзбекистон ССР
Republik Usbekistan
Oʻzbekiston Respublikasi 2
offiziell keine;
de facto Usbekisch
und Russisch
1925
Weißrussische SSR
Беларуская ССР
Republik Belarus
Рэспубліка Беларусь
Belarussisch
und Russisch
1922

*) Die Russische Föderation ist seit 1991 Träger der Rechte und Pflichten der ehemaligen RSFSR und Nachfolger der Sowjetunion.
1) Mit der Verfassung der Ukrainischen SSR vom 20. April 1978 wurde die ukrainische Sprache (de jure) zur Amtssprache der USSR. Das Russische bekam den Status einer Verkehrssprache.[2]
2) Der heutige Staatsname ist nicht immer mit dem als Unionsrepublik identisch. Nach der staatlichen Unabhängigkeit wurde in einigen der früheren Unionsrepubliken das kyrillische Alphabet abgeschafft und durch das lateinische ersetzt. Im Moldauischen wurde diese Änderung der Schriftsprache bereits 1989 durchgeführt.

Seite „Unionsrepublik“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 31. Januar 2024, 14:29 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Unionsrepublik&oldid=241735603 (Abgerufen: 11. Februar 2024, 12:22 UTC)



Die Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts
Englische Bezeichnung Warsaw Pact, Treaty of Warsaw
Warsaw Treaty Organization of Friendship, Cooperation, and Mutual Assistance
Französische Bezeichnung Pacte de Varsovie
Russische Bezeichnung Организация Варшавского договора
Sitz der Organe MoskauLwiw
Mitgliedstaaten 8:

 Albanien (bis 13. September 1968)
 Bulgarien
 Deutsche Demokratische Republik (bis 2. Oktober 1990)[1]
 Polen
 Rumänien
 Sowjetunion
 Tschechoslowakei
 Ungarn

Gründung 14. Mai 1955
Auflösung 1. Juli 1991
Auflösung der Militärstrukturen am 31. März 1991

Der Warschauer Pakt  war ein von 1955 bis 1991 bestehendes Militärbündnis des sogenannten Ostblocks unter der Führung der Sowjetunion.

Er wurde mit dem Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand (kurz: Warschauer Vertrag – WV) gegründet und bildete im Kalten Krieg das Gegenstück zum US-amerikanisch geprägten NATO-Bündnis, dem Nordatlantikpakt. Wirtschaftlich waren die Ostblockstaaten bereits seit 1949 im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe zusammengeschlossen.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs erodierten die strengen Strukturen des Warschauer Paktes zunehmend, woraufhin sich dieser 1991 offiziell auflöste.

 

 


Der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 bedeutete aber auch das Ende des Warschauer Paktes.   


Hintergrundwissen: Zweiter Tschetschenienkrieg

Tschetschenien war nach der Auflösung der Sowjetunion Schauplatz von zwei zwischen teils islamistischen Separatisten und der russischen Zentralregierung, die zu schweren Zerstörungen führten.

1991 erklärte die muslimisch geprägte russische Teilrepublik Tschetschenien ihre Unabhängigkeit von Russland (als „Tschetschenische Republik Itschkerien.“)

Im Ersten Tschetschenienkrieg, welcher von 1994 bis 1996 andauerte, konnte das    muslimisch Tschetschenien diese Unabhängigkeit von Russland behaupten.
Im Mai 1997 wurde ein Friedensvertrag ausgehandelt, der von Aslan Maschadow (vertretend für die „Tschetschenische Republik Itschkerien“) und Boris Jelzin (vertretend für Russland) unterschrieben wurde. Das strittige Problem der tschetschenischen Unabhängigkeit wurde dabei ausgeklammert. Tschetschenien bewahrte bis 1999 eine De-facto-Unabhängigkeit.

 

Der Angriff tschetschenischer Islamisten unter Schamil Bassajew 1999 auf die Nachbarrepublik Dagestan brach allerdings den fragilen Frieden.

Am 8 und 13. September 1999 kamen bei zwei Bombenanschlägen auf mehrere Wohnblöcke mehr als 200 Menschen ums Leben. Bis heute ist nicht genau geklärt, wer hinter den Anschlägen steckt.

Unter westlichen Fachleuten wird die Theorie vertreten, dass die Explosionen vom russisch Geheimdienst FSB gezündet wurden: So sollte Russland eine Rechtfertigung erhalten, den Tschetschenienkrieg fortzusetzen. Dieser Krieg – so wird vermutet - sollte Putin helfen, die Kommunisten bei der Präsidentschaftswahl im März 2000 zu schlagen. Mehrere Duma-Abgeordnete, die Nachforschungen zu den Explosionen anstellten, wurden später ermordet.

Ministerpräsident Putin machte tschetschenische islamistische Terroristen für die Taten verantwortlich und erklärte ihnen öffentlich den Krieg. Der zweite Tschetschennien-Krieg endete mit dem Sieg der russischen Streitkräfte, der Liquidierung der wichtigsten Anführer der Separatisten, und der vollständigen Wiedereingliederung Tschetscheniens in die Russische Föderation.

Seit Ende der Kriege begann der Wiederaufbau der Region. Sie wird seither allerdings zunehmend diktatorisch von Ramsan Kadyrow regiert. 

 

Vgl.: Zweiter Tschetschenienkrieg – Wikipedia

https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Tschetschenienkrieg

Videotipp: Pulverfass Kaukasus: Das Erbe des Tschetschenien-Krieges | ZDFinfo Doku

https://youtu.be/2Pk7KC86Yxk?t=1538 - ab Sendeminute 25:49


Erster Tschetschenienkrieg

Tschetschenischer Kämpfer steht in der Nähe des zerstörten Regierungsgebäudes in Grosny (Januar 1995)
Datum 11. Dezember 1994–31. August 1996
Ort Tschetschenien, teilweise InguschetienDagestanRegion Stawropol
Ausgang Abkommen von Chassawjurt
Abzug der russischen Truppen
De-facto-Unabhängigkeit Tschetscheniens
Konfliktparteien

 Russland
 Russland-treue Tschetschenen

 Tschetschenische Republik Itschkerien
 Mudschahedin
 Freiwillige der UNSO[1]

 
Verluste

5732 – Russische offizielle Zahl
14.000 – Schätzung der Union der Komitees der Soldatenmütter Russlands[2]

3000 – Tschetschenische Republik Itschkerien Anspruch
17.000 – Russischer Anspruch

Schätzungen zu zivilen Opfern bewegen sich zwischen 80.000 und 100.000[3]
Zweiter Tschetschenienkrieg

Massengrab in Tschetschenien (Februar 2000)
Datum 1999 bis 2009, offiziell beendet
Ort Tschetschenien
Ausgang Militärischer Sieg der russischen Streitkräfte, Liquidierung der wichtigsten Anführer der Separatisten, Wiedereingliederung Tschetscheniens in die Russische Föderation
Folgen Etablierung des russlandtreuen Präsidenten Kadyrow, fortwährender Guerillakrieg auf niedrigem Niveau
Konfliktparteien

 Russland
 prorussische Tschetschenen

 Tschetschenische Republik Itschkerien
 Ausländische Mudschaheddin

Verluste

3.536 bis 3.684 Soldaten[1][2][3]

14.113 (1999–2002)[4]
2.186 (2003–2009)[5]

Insgesamt getötete Zivilisten und Soldaten: 50.000–80.000[6]


Wladimir Putin - Rede am 25. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag (nur deutschsprachiger Teil) 

https://youtu.be/F0_0WqUuh9E?t=1260

Heutzutage ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands, unser bedeutsamster Gläubiger, einer der Hauptinvestoren und maßgeblicher außenpolitischer Gesprächspartner. Um ein Beispiel zu nennen: Im vorigen Jahr erreichte der Warenumsatz zwischen unseren Staaten die Rekordhöhe von 41,5 Milliarden DM. Das ist vergleichbar mit dem Gesamtwarenumsatz zwischen den beiden ehemaligen deutschen Staaten und der Sowjetunion. Ich glaube nicht, dass man sich damit zufrieden geben kann und hier Halt machen darf. Es bleibt noch genug Spielraum für die deutsch-russische Zusammenarbeit.

(Beifall)

Ich bin überzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses.

(Beifall)

Zum Schluss will ich die Aussagen, mit denen Deutschland und seine Hauptstadt vor einiger Zeit charakterisiert wurden, auf Russland beziehen: Wir sind natürlich am Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft. Auf diesem Wege haben wir viele Hürden und Hindernisse zu überwinden. Aber abgesehen von den objektiven Problemen und trotz mancher - ganz aufrichtig und ehrlich gesagt - Ungeschicktheit schlägt unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist.
Ich bedanke mich.

(Anhaltender Beifall - Die Abgeordneten erheben sich) 

Deutscher Bundestag - Wortprotokoll der Rede Wladimir Putins im Deutschen Bundestag am 25.09.2001




Das Leben von Wladimir Putin

MrWissen2go Geschichte | Terra X

https://www.youtube.com/watch?v=ms9Vp1isnho


Das Leben von Wladimir Putin

MrWissen2go Geschichte | Terra X

https://www.youtube.com/watch?v=ms9Vp1isnho

Putin wächst als Einzelkind, als einziges überlebendes Kind zweier arbeitender Eltern auf.  

Dies bedeutet: Putin ist schon früher auf sich gestellt. Leute, die ihn von früher kennen, erzählen, dass er schon als Kind lernte, sich durchzusetzen. … 

Er betreibt Kampfsport, wird Stadtmeister im Judo.

Der junge Wladimir ist frech, zielstrebig, diszipliniert und er verfügt über einen scharfen Witz.

Nach der Schule bleibt er in Leningrad und studiert Jura.

Ihm kommt entgegen, dass er Menschen gut einschätzen kann. Putin kann sehr gewinnend sein. Das berichten die, die ihm begegnet sind.

Wenn man verstehen will, wie Putin tickt, dann muss man sich anschauen, wie und vor allem wo Putin nach dem [Jura-]Studium Karriere macht: Nämlich im Komitee für Staatssicherheit im beim Ministerrat der UdSSR – kurz KGB. 

Der KGB ist der gefürchtete Geheimdienst der Sowjetunion. Er soll die Macht der kommunistischen Partei sichern. Dafür schreckt er vor nichts zurück. Wer stört, wird eingeschüchtert, weggesperrt. psychisch gefoltert oder gar umgebracht. Kontrolle ist alles.    

Der Geheimdienst wirbt Wladimir Putin im Jahre 1975 an. 1985 wird er nach Dresden geschickt in die DDR. Die DDR ist ein Frontstaat im Kalten Krieg und ein wichtiger Verbündeter [der Sowjetunion]. 

 

Aber die KGB-Leute, die nach Dresden müssen, wissen, das sie keinen Top-Job ergattert haben. Putin ist nicht von Beginn an ein Überflieger, der steil Karriere macht. Er soll in Dresden Leute anwerben, die mit dem KGB zusammenarbeiten wollen. 

Außerdem soll er gegen den Feind, die NATO (das Militärbündnis vieler westlicher Staaten) spionieren. Die wenigen Geheimdienstkollegen, die über den heutigen russischen Präsidenten sprechen, die meinen, er sei gegenüber seinen Vorgesetzten immer unterwürfig gewesen. Er habe die Befehle loyal umgesetzt. Ideologisch habe er aber nicht an der Sowjetunion gehangen.        

Dies bedeutet: Er erfüllt seine Pflicht sorgfältig, denkt dabei aber vor allem and die eigene Karriere.

In seiner Zeit in Deutschland lernt Putin auch die deutsche Sprache, die er auch heute noch beherrscht. Auch seine damalige Frau Ljudmila, mit der er zwei Töchter hat, lernt Deutsch und wird später sogar in Russland Deutschlehrerin. 

 

[Der Fall der Mauer in Berlin 1989 läutet das Ende der DDR ein.] Im Januar 1990 kehren die Putins dann nach Leningrad zurück. Die Sowjetunion zerfällt. „Glasnost“ [Offenheit = mehr  Meinungsfreiheit]  und „Perstroika“ [Umgestaltung = wirtschaftlicher Wandel vom Kommunismus zur Marktwirtschaft] sind die Schlagworte dazu. Alles ist im Umbruch, es gibt Reformen für mehr Demokratie.

Ein Jahr später, 1991 ist es mit der Sowjetunion endgültig vorbei. Viele Mitgliedsstaaten spalten sich ab und in Russland entsteht die Russische Föderation.

Aber die neue Demokratie hat einen schwierigen Stand. Neben dem Verlust der Weltmachtstellung prägen politische Krisen und Wirtschaftsnot die politische Situation der 1990er Jahre in Russland.

Auch in Putins Heimatstadt Leningrad, das jetzt wieder St. Petersburg heißt.

Hier kontrolliert in der 1990er Jahren die russische Mafia viele Wirtschaftszweige.

Ohne Schmiergeld läuft da wenig. Deshalb beauftragt die Politik den Geheimdienst, dessen Strukturen aus der Sowjetzeit größtenteils erhalten bleiben, wieder für Recht und Ordnung zu sorgen.

Dadurch beginnt Putin, an der Nahtstelle zwischen Politik und Wirtschaft zu arbeiten. 

Als Oberstleutnant beim Geheimdienst kann man  kaum bessere Jobs finden. 

Er wird wegen seiner Sprachkenntnisse und vor allem auch den deutschen Auslandserfahrungen sehr geschätzt und so steigt er zur rechten Hand des Sankt Petersburger Bürgermeisters Anatoli Sobtschak auf.   

Putin organisiert Dinge. Das heißt, er kümmerst sich um das, was wichtig ist.  

Er befasst sich aber vor allem mit westlichen Investoren. Und das aus Sicht seines Arbeitgebers sehr effektiv. [Aber:] Immer wieder gibt es auch Gerücht wegen Korruption.

Und dann scheitert Sobtschak überraschend bei den Wahlen 1996. Putin verliert seine Stellung. Dies zeigt ihm, dass die Demokratie unberechenbar ist. 

Lange ist Putin allerdings nicht arbeitslos. Er hat sehr einflussreiche, sehr reiche Freunde.

Diese Kontakte verhelfen ihm zum neuen Posten in Moskau. Bald schon kommt er in die Nähe des Präsidenten Boris Jelzin.

Mitte des Jahres 1998 mach Jelzin Putin zum Chef des Geheimdienstes und Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates.

Seine Aufgabe soll auch darin bestehen, Korruptionsermittlungen gegen Jelzin und dessen Familie zu verhindern. Das erledigt Putin.

Am 9. August 1999 steigt er dann zum Ministerpräsidenten auf, dem zweiten Mann im Staate hinter Jelzin. Bis dahin ist er politisch noch kein Big Player. Die breite Masse kennt ihn kaum. Und kaum jemand ahnt damals, wie sehr dieser Mann das Land bald prägen wird.

Bitte entschuldigt die vereinfachte Metapher, aber wenn es einen raketenhaften Aufstieg gibt, dann legt Putin ihn jetzt hin.

Sofort kann er sich als starker Mann inszenieren. Denn zur gleichen Zeit beginnt der zweite Tschetschenienkrieg.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion haben die Unabhängigkeitsbewegungen im [muslimisch geprägten] Tschetschenien im Nordkaukasus Auftrieb bekommen, was zu zwei Kriegen führt.

Als Ministerpräsident lässt Putin die Armee hart zuschlagen. Das bringt ihm Sympathien in der Bevölkerung. Zumindest außerhalb Tschetscheniens. 

In der Nacht vom 31. Januar 1999 auf den 1. Januar 200 feiern die Menschen weltweit den Beginn eines neuen Jahrtausends.

Selten gab es eine ausgelassenere Party. Das gilt auch für die russische Hauptstadt Moskau.

Vieler Feiernde bekommen nicht mit, dass sich Präsident Jelzin in dieser Nacht an sie wendet.  

Völlig überraschend tritt Jelzin [am 1. Januar 2000] als Russlands erstes demokratische gewähltes Staatsoberhaupt zurück.    

Sei Nachfolger wird gemäß der Verfassung der amtierende Ministerpräsident, Wladimir Putin.

Mit 47 Jahren hat er es plötzlich an die Spitze einer Atommacht geschafft.      

In seiner ersten Ansprache verspricht er:

 „Die Freiheit des Wortes, die Freiheit des Gewissens, die Eigentumsrechte, alle Elemente der zivilisierten Gesellschaft werden verlässlich geschützt.“ [Wladimir Putin, 31.12..1999].


Entwicklung vom scheinbaren "Prowestler" zum "starken Mann" Russlands:  

Im Westen nimmt man das freundlich auf. Putin wird überall hofiert. Er ist jung und dynamisch. Scheinbar sehr zurückgenommen und höflich, prowestlich.  

2001 spricht Putin vor dem Deutschen Bundestag, größtenteils auf Deutsch. Damals  redet er noch von einer guten Zusammenarbeit zwischen seinem Land und Europa.

Putin: „Ich bin überzeugt, wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf. Und leisten damit zusammen unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des Europäischen Hauses.“   

Von Beginn an gibt sich Putin aber auch streng.

[Am 8 und 13. September 1999 waren bei zwei Bombenanschlägen auf mehrere Wohnblöcke mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen.]  

Drei Monate nach seinem Amtsantritt ereignen sich im Jahr 2000 mehrere Bombenanschläge in großen Städten [zum Beispiel am 31.05.2000 in Wolgograd], als deren Täter tschetschenische [zum großen Teil islamistische] Separatisten ausgemacht werden. Bis heute ist nicht genau geklärt, ob das wirklich so stimmt.

Auf jeden Fall zeigt Putin den Russen, das er ein starker Mann ist. Auch später sagt er noch einmal über die Terroristen aus dem Nordkaukasus: Man muss die Höhlen finden und sie wie Ratten vernichten!

Die Inszenierung von Putin als „starker Mann“ wird später immer weitergetrieben. 

Erst steht er als fürsorglicher Oberbefehlshaber in einem Krankenhaus, dann übt er Judo, er schwimmt, er reitet, er fischt, er jagt. Gern auch mit nacktem Oberköper, die Bilder kennt ihr wahrscheinlich.

Man mag das lustig finden, aber Fakt ist: Vielen in Russland gefällt es, wie Putin seine Stärke demonstriert.  Der unerschrockene Anführer in unruhigen Zeiten. Der Mann der das Land aus der Wirtschaftskrise geführt hat. Er trifft den Nerv vieler Landsleute.

Viele Russen empfinden die vergangenen Jahre [unter Jelzin] als Niedergang, ja als Schande. Und auf diesem Gefühl baut Putin auf. Er verspricht die Wiederherstellung der Ehre und Würde Russlands, als vieles aiuseinanderzubrechen droht.

 

Zunächst hatten die Tschetschenen die russischen Truppen [im Ersten Tschetschenienkrieg?]  en zurückgeschlagen. Jetzt führt Putin einen schnellen harten Krieg und er siegt [im Zweiten Tschetschenienkrieg].  

Er drängt die Separatisten zurück. Putin ist nach Jelzins Rücktritt ohne Wahl ins Amt gekommen. Als erfolgreicher Kriegsheer gewinnt er das die folgende Präsidentschaftswahl im März 2000 mit 53 Prozent.         

Wer genau hinschaut, erkennt aber schon damals, das die anderen Kandidaten viel weniger Fernsehzeit abbekommen als Putin.

Alle erwarten, dass Jelzins Günstling die Politik seines Vorgängers fortführt.

Aber das ist nicht so. Putin verändert wirtschaftlich einiges nach der unregulierten Marktwirtschaft unter Jelzin. In manchen Bereichen will er mehr staatlichen Einfluss, vor allem in der so wichtigen Öl und Gasindustrie. Russland ist reich an Öl und Gas.

 

Putin kommt der steigende Ölpreis zu Beginn der 2000er Jahre entgegen. Die Wirtschaft wächst, der Lebensstandart vieler Russen verbessert sich. Bis heute rechnen viele Russen ihm das hoch an. 


Putin räumt mit seinen politischen Gegnern auf und verwandelt Russland in eine autoritäres Regime um.        

In seinen ersten Amtszeit scheint Putin aufzuräumen. Er lässt Behördenchefs, Gewerkschaftler und Gouverneure vor laufender Kamera antreten, nimmt ihre Berichte entgegen und erteilt Anweisungen. Wenn nötig, dann ermahnt er die Männer. Der Landesvater, der sich kümmert. Streng, aber gerecht.    

2003 lässt Putin die Oligarchen im Kreml antanzen. Das sind Männer, die in der Umbruchszeit [von 1990 bis 2000] riesige Firmenimperien schaffen konnten und dadurch sagenhaft reich wurden. Männer, die bisher davon ausgingen, das sie im Land der Ton angeben.      

Das ändert sich jetzt für die, die gegenüber Putin nicht loyal sind: Kritiker wie der Ölmilliardär Michail Chodorchowski landen hinter Gittern oder sogar in Straflagern.   

Nicht nur die Putin-kritischen Oligarchen werden entmachtet:

Unter Putin bekommt das politische System in Russland immer mehr autoritäre Züge.

Vor allem Journalisten, die nachbohren und enthüllen, leben oft in Gefahr.  

In der Rangliste der Pressfreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ liegt Russland auf Platz 150 [Jahr 2023: Platz 164) von 180 Staaten].

 

[Großes internationales Aufsehen erregte die Ermordung der  russisch-amerikanischen Reporterin Anna Politkowskaja. Sie wurde bekannt durch regierungskritische Reportagen und Bücher über den Krieg in Tschetschenien. Der Mord geschah am Geburtstag des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Über die Hintermänner des Mordes ist bis heute nichts bekannt. Die Ermordung Politkowskajas wurde von den Medien der westlichen Welt als symptomatisch für die Herrschaft Wladimir Putins gesehen.]

Auch politische Gegner müssen um ihre Sicherheit fürchten. So z. B. der Aktivist Alexei Nawalny. [Alexei Nawalny ist ein russischer Antikorruptions-Aktivist und Oppositionspolitiker und seit 2009 Blogger. 2020 wurde ein lebensgefährlicher Giftanschlag auf ihn verübt. Er ist seit 2021 inhaftiert und muss eine langjährige Gefängnisstrafe absitzen.]


Ziel der Politik Putins ist es, den Russischen Einflussbereich auszudehnen: In der direkten Nachbarschaft und weltweit.

Ansonsten arbeitet Putin mit [mationalen] Symbolen: Er führt die alte sowjetische Hymne wieder ein, zumindest die Melodie. Denn der Zusammenbruch der Sowjetunion, so sagte er es im Jahr 2005: „Die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.!

Das ist wichtig zu verstehen. Denn –wie schon erwähnt, hing er nicht ideologisch an der Sowjetunion und dem Kommunismus, ihm geht es um Russlands Stellung als Weltmacht.

Was die Sowjetunion noch war.  

Ziel seiner Politik ist, den Russischen Einflussbereich auszudehnen: In der direkten Nachbarschaft und weltweit.  

Beispiel Ukraine: Russland besetzt 2014 die Krim. Kurze Zeiten später kämpfen im Osten der Ukraine [pro-russische] Separatisten gegen das ukrainische Militär. Mit Unterstützung aus Russland.

 

Vergleiche hierzu das Video: Ukraine vs. Russland: Droht ein Krieg?

Ukraine vs. Russland: Droht ein Krieg? (youtube.com)

 

Putins Zustimmungswerte in Russland stiegen damals [nach der Annektion der Krim] enorm.  

Putin, der Mann, der anpackt und die Nation zu alter Stärke führt.

Das hält bis heute an unterstützt natürlich auch durch die russischen Staatsmedien.    

Laut einer Umfrage der Stiftung „Öffentliche Meinung“ glauben inzsichen 86 Prozent der Russen, ihr Land sei in der Welt gefürchtet.

Und was ist aus der Beziehung mit dem Westen geworden, die zu Beginn der Amtszeit Putins so gut zu sein schien?    

Es gibt einige Biographen, die glauben, Putin wäre damals ehrlich mit einer Zusammenarbeit mit dem Westen interessiert gewesen, aber der Westen hätte seien ausgestreckte Hand nicht ergriffen. Man hat ihn als einen Regionalfürsten betrachtet. [Der ehemalige US-Präsident Obama hat Russland einmal als „Regionalmacht“ bezeichnet und verärgerte damit Putin sehr]. Daraufhin habe Putin sich enttäuscht vom Westen abgewandt.

Putin lässt sich stattdessen mit Staatschefs ein, die Freunde brauchen können. Wie zum Beispiel Präsident Assad der in Syrien einen Bürgerkrieg führt. Russland ist zu einem wichtigen Akteur in der internationalen Politik geworden, an dem man am Verhandlungstisch nicht vorkommt [Im Krieg mit der Ukraine machen Verhandlungen aus Sicht der Ukraine zur Zeit wenig Sinn]. Es ärgert Putin, wenn nur von den USA und China als Supermacht gesprochen wird, er will ebenbürtig sein.



Michel Eltchaninoff ist ein französischer Autor und Journalist. Eines seiner Schwerpunktthemen ist die russische Philosophie, er ist Verfasser des Buches In Putins Kopf.


Putins Welt – In Putins Kopf

Wie denkt Putin? Ein Gespräch mit Michel Eltchaninoff, Philosoph und Autor des Buches "In Putins Kopf".

Im Gespräch mit Yves Bossart erklärt Michel Eltchaninoff, Chefredaktor des französischen "Philosophie Magazine", aus welchen Werken Putin Ideen für seine Geopolitik schöpft, wohin ihn diese führen und welche aktuellen Gefahren sie bergen.

Putins Welt - 3sat-Mediathek

https://www.3sat.de/gesellschaft/sternstunde-philosophie/putins-welt-102.html



Putins Welt – In Putins Kopf

Seit 22 Jahren regiert Wladimir Putin Russland. Der Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine alarmiert den Westen, einmal mehr.

Wer ist der Mann, der die Welt in Schrecken versetzt? Wie denkt Putin? Ein Gespräch mit Michel Eltchaninoff, Philosoph und Autor des Buches "In Putins Kopf".

Zum Neujahrsempfang 2014 schenkte Wladimir Putin seinen wichtigsten Beamten drei philosophische Werke zur Pflichtlektüre. Zudem zitiert der ehemalige KGB-Spion in seinen politischen Reden gerne russische Intellektuelle, konservative Vordenker und anti-westliche Philosophen. Manche dieser Visionäre träumen von einem russischen Großreich, andere gar von einem eurasischen Imperium. Wer sind diese Vordenker von Wladimir Putin?

Im Gespräch mit Yves Bossart erklärt Michel Eltchaninoff, Chefredaktor des französischen "Philosophie Magazine", aus welchen Werken Putin Ideen für seine Geopolitik schöpft, wohin ihn diese führen und welche aktuellen Gefahren sie bergen.

Putins Welt - 3sat-Mediathek

https://www.3sat.de/gesellschaft/sternstunde-philosophie/putins-welt-102.html

 

Putins Welt | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur - YouTube

https://www.youtube.com/watch?v=ASXAkkHTIG0

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=889 (Sendeminute 14:49)

Zur Welt kommt Wladimir Putin 1952 in der Sowjetunion, genauer gesagt in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg. Die Eltern sind arm, er prügelt sich oft mit seinen Mitschülern und der macht Kampfsport. Nach dem Jurastudium heuert Wladimir Putin beim mächtigen sowjetischen Geheimdienst - beim KGB – an. Er ist Spion in Ostdeutschland, als die Mauer fällt. Und wenige Monate nach der DDR zerfällt auch die Sowjetunion.

Präsident wird Boris Jelzin. Jelzin, ja, der trinkt viel, der tanzt gerne und ist die Westen sehr beliebt. Er privatisiert die sowjetischen Staatsbetriebe, sie kommen in die Hände blutjunger Unternehmer aus Moskau. die fröhnen dem Kapitalismus amerikanischer Prägung und werden über Nacht zur Mächtigen Geldelite. Man nennt sie: Die Oligarchen.

 

Putin bleibt in Sankt Petersburg. Er macht Karriere in der Stadtverwaltung und umgibt sich mit ehemaligen Spionen und zwielichtigen Geschäftemachen. 1996 wechselt Putin nach Moskau in den Kreml. Und dort setzte er seine Karriere fort - bis hin zum Premierminister. 1999 tritt Boris Jelzin überraschend zurück und übergibt die Macht an Wladimir Putin.

 

Moderator Yves Bossart: Ja, wir haben gesehen: Angefangen hat alles im Geheimdienst KGB als Spion. Wie stark hat diese Geheimdienstvergangenheit sein … Weltbild geprägt?

 

Michel Eltchaninoff: In erster Linie ist Wladimir Putin ein Produkt der Sowjetunion. Er glaubt nicht unbedingt an den Marxismus als Wirtschaftssystem, aber an den sowjetischen Patriotismus, an die Größe der Sowjetunion. Er ist geprägt von der Idee, dass die Sowjetunion eine Großmacht ist und bleiben muss - selbst auf die Gefahr der Feindschaft. dem Westen gegenüber. Diese Anschauung besteht weiter.
Ebenso prägend war das [oder der] KGB. Er erzählt in seiner Autobiografie, wie er als Sechzehnjähriger an den Toren der KGB-Zentrale in Leningrad - dem heutigen Sankt Petersburg -  angeklopft und um Aufnahme gebeten hat. Der Agent, der ihm öffnete, habe ihm beschieden, sich erst nach einem Jurastudium wieder beim KGB zu melden.  

Für ihn ist das KGB eine Eliteschule und nicht der Geheimdienst, der Dissidenten misshandelt und verfolgt oder die moralische Schuld für den GULAG. Seine Agenten sind für ihn die besten Staatsdiener. Während des KGB im Inneren und gegen außen ein Symbol der Unterdrückung ist, sieht er darin eine Art „höhere Verwaltungsschule“, dank der er Teil der Elite der UDSSR wird.
Als die Sowjetunion 1991 zusammenbricht, ist dies für ihn eine Tragödie, weil damit alle seine Jugendideale, den Patriotismus, der Dienst am Staat, die Opposition gegenüber dem Westen in Trümmern liegen.

Moderator Yves Bossart: Aber in diesem Geheimdienst steckt ja auch eine andere Idee,  neben dieser Elite: Nämlich das „geheime Machenschaften“ dahinter stecken könnten: Dass das, was die Leute sagen, nicht das ist, was sie wirklich denken - diese zwei Ebenen kann man vielleicht sagen - auch diese Paranoia also dieses Misstrauen gegenüber dem Westen.

 

Michel Eltchaninoff:  Beim KGB geht es darum, seine Gefühle zu verbergen und andere zu manipulieren. Wladimir Putin hat offensichtlich gelernt, eine Maske zu tragen, um Angst zu schüren oder andere in seinen Bann zu ziehen. Vor allem aber hat er gelernt, seine Absichten zu verheimlichen. Er kann wochenlang schweigen, während er seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen zieht, nur um dann plötzlich (wie am vergangenen Montagabend) eine große Rede zu halten, in der er die Anerkennung der separatistischen Republiken ankündigt und den Westen und vor allem die Ukraine aufs Heftigste brüskiert.  

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1143 (Sendeminute 19:03)

Er spielt mit seinem Image. Dazu gehört auch seine Geheimnistuerei rund ums Geld. Als stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg wurde er in den 1990er Jahren mit der Mafia und der Korruption in Verbindung gebracht. In jüngster Zeit ließ er sich an einem prächtigen Palast am Schwarzen Meer errichten. Er wusste seine Stellung beim KGB dazu zu nutzen, sein Ziel, reich zu werden, zu verbergen. Man darf nicht vergessen, dass Russland eine Kleptokratie ist: Russland wird heute von Männern regiert, die durch und durch korrupt sind. Putin und seiner Entourage (sein Umfeld) zieren sich nicht Geld, das dem Volk zusteht, zu entwenden und damit Yachten, Flugzeuge und Grundstücke zu kaufen und darauf Schlösser zu bauen. Das KGB dient auch dazu, solche Aktivitäten zu verschleiern. 

 

Moderator Yves Bossart:  Das heißt, dass dahinter mafiöse Strukturen stecken und es  eigentlich auch auch ums Geld geht, nicht nur um die Macht. Er präsentiert sich ja auch (wir haben gesehen seine Judo-Vergangenheit als Kämpfer) gerne oben ohne - was ja eigentlich sehr sonderbar ist für einen Politiker seines Ranges. Seine Hobbys? Wir sehen ihn hier auf dem Pferd - andere Bilder gibt es, wo er beim Fischen ist und so weiter. Wir kennen das. Wie deuten Sie diese Bilder, was haben Sie für eine Funktion?

 

Michel Eltchaninoff:  Sobald er an die Macht gekommen ist, hat Putin als erstes die Fernsehsender unter seine Kontrolle gebracht. Er nötigte den Oligarchen Vladimir Gusinsky, sein Medienunternehmen und damit auch den ersten russischen Fernsehkanal zu verkaufen. Mit seinem KGB Hintergrund weiß Wladimir Putin um die Bedeutung öffentlicher Bilder und der Kommunikation. Er wollte sich abheben vom Bild früherer sowjetischer Führer, insbesondere von Boris Jelzin (der herzkrank war und den Wodka zuneigte) und sich als dynamischen, jungen, muskulösen und unerschrockenen Führer zeigen.

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1269 (Sendeminute 21.09)

 

Er schuf einen eigentlichen (New-Age-)Personenkult, in dem er sich mit nacktem Oberkörper und als Sportler präsentierte. Das funktionierte anfangs sehr gut. Die Russen wollten das Bild eines Führers, der weder alt noch Alkoholiker war [wie Putins Vorgänger Jelzin] , er verdiente dieses Image.

In den letzten Jahren aber spotten die Russen ein wenig über diesen Personenkult. Man würde es bevorzugen, dass Wladimir Putin sich besser um Schulen, Krankenhäuser, Eisenbahnen und Straßen kümmern würde, anstatt sich beim Jagen oder Fischen zu zeigen.

Das Ganze ist also auch heute noch sehr wichtig für seine Selbstdarstellung, die allerdings heute etwas altmodisch wirkt.

 

Moderator Yves Bossart:  Ja, ich meine, das ist ein wichtiger Pfeiler, diese Selbstinszenierung seiner Person, aber auch seiner Politik. Sie haben es uns gesagt. Von Anfang an hat er sozusagen die Medienstationen übernommen und jetzt gibt es dieses „Russia-Today“, wo er auch im Ausland versucht, ein russland-freundliches Bild zu verbreiten. Das heißt, diese sanfte Macht der Medien, diese Desinformation, die Propaganda ist ganz, ganz zentral für seinen Politikstil.

 

Michel Eltchaninoff:  Vladimir Putin sieht sich als Erneuerer der Ideologie Russlands. er   glaubt, dass er Russland aus dem Kommunismus herausgeführt hat, ausgehend von einer neuen Ideologie, die man erstmal als nationalistisch bezeichnen könnte.

Vor allem aber sieht er sich als ideologischen Pol für die ganze Welt. Dafür braucht ihr Fernsehsender, die ins Ausland strahlen (wie Russia Today oder Sputnik) und Wasserträger in allen Ländern der Welt, die seiner globalen Rolle Einfluss verleihen.

Putin zeigt sich dem Westen gerne als „Joker“ in „Batman“ - das Böse, für das man eine Hassliebe empfindet). Er ist politisch unkorrekt und spricht die Dinge aus, die die Regierenden nicht zu sagen wagen. Er ist manchmal etwas grobschlächtig und brutal, er will dem Publikum auf der ganzen Welt gefallen, sogar den Amerikanern und den Europäern, indem er anders ist.

Vor allem ist der gegen die „Amerikanisierung“ der Welt. Seit er an der Macht ist, hat Putin weltweite Propaganda betrieben. Dies läuft wie gesagt über Fernsehsender, aber auch über politische Multiplikatoren in aller Herren Länder. Es gibt überall Politiker, die Putin unterstützen - und es läuft über Zeitungen. Wladimir Putin will ein ideologischer Leuchtturm für all diejenigen sein, denen die Welt so wie sie ist, nicht gefällt. Das hat ziemlich gut funktioniert.

 

 

Moderator Yves Bossart:  Aber das war ja nicht immer so. Also, am Anfang seiner Präsidentschaft hat er eine Rede gehabt als sehr bemerkenswert - auf Deutsch muss man sagen, in Deutschen Bundestag. 2001 war das und das ist ein anderer Wladimir Putin damals gewesen. Wir hören ihm mal kurz zu:

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1437 (Sendeminute 23.59)

Russland ist ein freundliches europäisches Land. Für unser Land, das ein Jahrhundert von Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile Frieden oder Kontinent das Hauptziel. Wie bekannt haben wir den Vertrag über das allgemeine Verbot von Atomtests, den  Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Konvention über das Verbot der biologischen Waffen sowie [das] Start-II-Abkommen ratifiziert. Leider folgen nicht alle Nato Länder unserem Beispiel. Heute müssen wir auch fest und endgültig erklären: Der Kalte Krieg ist vorbei. Heute sind wir verpflichtet zu sagen, dass wir unsere Stereotypen und Ambitionen loswerden und der Bevölkerung Europas und der ganzen Welt Sicherheit zusammen gewährleisten. Und … ganz ehrlich gesagt …. schlägt, unter dem allem das starke lebendige Herz Russlands,  welches für vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist.

 

Moderator Yves Bossart:  Ja, wenn ich Sie recht verstehe, dann spricht hier schon der Stratege, der Wolf im Schafspelz.

Michel Eltchaninoff: Tatsächlich verfolgt Wladimir Putin während seiner ersten Amtszeit als Präsident bis 2004 eine „Politik der offenen Tür“ zu Europa und den westlichen Ländern.

Wenn er nach Deutschland reist, zitiert er sehr oft den berühmten Text zum „Ewigen Frieden“ des deutschen Philosophen Immanuel Kant. Putin sagt, dank Kant und dank der Tatsache, dass Russland europäisch ist, so wie Deutschland europäisch ist, werden wir einen „Ewigen Frieden“ errichten. Unsere Generation wird die Welt nach dem Kalten Krieg aufbauen. So klingt das in den frühen 2000er Jahren.

Gleichzeitig sagt er in China: Wir sind gegen jede ausländische Einmischung in die Politik eines Staates.

Moderator Yves Bossart:  [Er will] Allianzen nach allen Seiten],

Michel Eltchaninoff: Genau. Er beobachtet das Geschehen und sieht den Beitritt der ehemaligen Sowjetrepubliken zur Europäischen Union. Auch in den baltischen Staaten und in Georgien, einer weiteren ehemaligen Sowjetrepublik, gibt es eine demokratische Revolution?

Der Gedanke wächst in ihm, dass die früheren Sowjetrepubliken sich zu sehr dem Westen zuwenden. Von da an ändert sich seine Haltung dem Westen gegenüber von einer ironischen zu einer zunehmend feindseligen Politik.

Moderator Yves Bossart: Dann kommt diese konservative Wende bei Putin, wie man das oft nennt. Sie haben uns gesagt, es gibt diese Rosenrevolution in Georgien 2003 und 2004 dann die Orangene Revolution in der Ukraine. Es gibt auch eine „Tragödie von Beslan“. Die beschreiben sie in ihrem Buch, sie ist auch  sehr wichtig gewesen: Tschetschenische Rebellen nehmen da eine eine Schule in Geiselhaft, und Putin beschließt dann, dass er die Gouverneure von nun an selbst bestimmt und die Macht zentralisiert. Was würden Sie sagen, gibt es so Ereignis, wo diese konservative Wende ausgelöst wurde oder sind das irgendwie … einige Einflüsse, die dazu geführt haben, so in diesen 2003/4er Jahren

 

Michel Eltchaninoff: Diese konservative Wende (Putins) vollzog sich allmählich und wurde von mehreren Faktoren beeinflusst.

Es gab internationale Elemente wie den Beitritt der baltischen Staaten zur Europäischen Union und die demokratischen Revolutionen in der Ukraine und in Georgien.

Mit der Tragödie in Beslan - als russische Schüler von tschetschenischen Terroristen als Geiseln genommen wurden - verliert ihr jedes Vertrauen in die russische Kommunalverwaltung und die Demokratie in Russland.

https://www.youtube.com/watch?v=ASXAkkHTIG0&t=1437s (Sendeminute 27:47)

Es folgt, was er die „Vertikale der Macht“ nannte: Putin greift immer stärker gegen innen durch und wird immer misstrauischer gegen außen. Er entwickelt eine Art Paranoia, gemäß  Zuwendung der ehemaligen Sowjetrepubliken zur Demokratie und zu Europa das Ergebnis von Operationen ausländischer Geheimdienste sei. Damit wächst sein Misstrauen gegenüber dem Westen.

 

Moderator Yves Bossart: Also dieses Misstrauen, dass er wieder irgendwie die Einflüsse des Westens überall sieht, auch bei demokratischen Revolutionen und Widerständen im Inland und im Ausland! Was würden Sie sagen, heißt überhaupt konservativ für Wladimir Putin? Welche Vorstellung von Konservatismus hat er da? 

 

Michel Eltchaninoff: Er betont zunehmend seine konservative Haltung, wobei es sich nicht um einen rückwärtsgewandten Konservatismus handelt, der unbedingt in die Vergangenheit zurückführt, sondern das Beste aus der Vergangenheit bewahren will, wie ihr immer wieder bekräftigt. Insbesondere nach 2010, 2012,13 sagt er: „Ich bin ein Konservativer“ und wendet sich damit gegen alles, was seiner Meinung nach die Dekadenz Europas fördert: Den Abfall von den christlichen und moralischen Wurzeln des europäischen Kontinents. Putin fällt in einen eindeutig homophoben Diskurs, der sich gegen Homosexuelle richtet. Er betont dass eine „Gay Pride Parade“ in Russland niemals möglich wäre.

2013 verabschiedet er ein Gesetz gegen das, was er als homosexuelle Propaganda bezeichnet: Wer in Russland ein Bild zeigt, das mit Homosexualität in Verbindung steht, kann dafür ins Gefängnis kommen. ER stellt sich insbesondere auch gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, die zu diesem Zeitpunkt in Frankreich und anderswo beschlossen wird.

Damit festigt er das Bild Russlands als Hort eines Konservatismus, der sich gegen Masseneinwanderung und Homosexualität wendet und für die christlichen Wurzeln einsteht und sich so vom dekadenten Europa abhebt.

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=1807 (Sendeminute 30:07)

 

Moderator Yves Bossart: Also es ist einerseits diese Gegnerschaft gegen die Homophobie! Warum das so wichtig ist,  müssen sie vielleicht noch erklären … warum das so eine zentrale Frage  ist, also ein traditionelles Familienbild [und] christliche Werte. Könnte man auch sagen,  … die Religion wird wieder wichtig als Abgrenzung - und auch die Technologie! Also er wendet sich auch oft gegen das Internet (benutzt also keine Email habe ich gelesen von ihnen). Das ist ja also von vorgestern!

 

Michel Eltchaninoff: In der Tat: Putin fördert die traditionelle Familie mit Kindern aus seiner heterosexuellen Verbindungen aus demografischen Gründen. In einer ziemlich abstrusen Erklärung lehnt er die Homosexualität ab, weil er will das russische Familien mehr Kinder bekommen. Dabei setzt er auf religiöse Werte.

Da sich der Westen von seinen religiösen Werten abgewandt habe, liege es nun an Russland, sich in Europa als Garant und Hüter der christlichen Werte zu zeigen.

 

Moderator Yves Bossart: Ja aber das ist sehr lustig. Die Religion ist für ihn wie das Fundament der Moral also er spricht da vom „Heiligen Russland“, eine spirituelle Wiedergeburt Rußlands nennt er das was er will. Aber wie ist das zu deuten: Ist das eine eine Instrumentalisierung der Religion für seine politischen Ziele? Sie haben am Anfang hat das ideologische Vakuum angesprochen nach dem Zusammenbruch der UdSSR!  Oder ist das ein echtes Glaubensbekenntnis? Hängt ihm etwas an dieser Religion, am orthodoxen Christentum?

 

Michel Eltchaninoff: Wladimir Putin bezeichnet sich selbst als gläubig. Seiner Meinung nach basiert jede Moral auf religiösen Werten - hier weicht er offensichtlich von Kant ab, wonach eine Moral allein auf den Vernunft gründen kann.

Er glaubt, die Religion müsste der Moral Leben einhauchen. Er spricht davon, wie ihm seine Mutter als Kind ein Kreuz geschenkt hat: Man weiß von seinem Beichtvater und dass er manchmal in die Kirche geht und sich im Klöster zurückzieht.

Aber all das ist in Wirklichkeit auch eine politische Instrumentalisierung: Religion   (insbesondere die orthodoxe Glaube) war im Marxismus verboten und erlebte in den 1980-er und 90er Jahren und vor allem nach dem Fall des Kommunismus eine Renaissance.

Putin nutzt die Orthodoxie um einen Teil seiner Wählerschaft zu gefallen und um seine Treue zu den christlichen Wurzeln zu beweisen.

Wie weit ist mit seinem Glauben her ist, wissen wir nicht. Wladimir Putin ist wie gesagt dann Schauspieler und ein Geheimagent es ist schwierig zu wissen, was ihr glaubt.

Vor allem aber will er es glauben machen! Sie sprachen von seinem Misstrauen dem Internet gegenüber. Es ist in der Tat paradox, dass Putin das Internet nutzt, um politisch Einfluss zu nehmen. Bekanntlich versuchen die russischen Geheimdienste, Wahlausgänge im Ausland zu beeinflussen oder sich da in Wahlen einzumischen. Dennoch misstraut Putin den Internet. So lässt er sich vom FSB [der Nachfolgeorganisation des KGB], dem Inlandsgeheimdienst mittels „roter Akten“ informieren!  

 

Moderator Yves Bossart: Er lässt sich einfach informieren, von ein paar Menschen, die zu ihm kommen und ihm die Informationen servieren und das hält er dann für die Wirklichkeit!?

 

Michel Eltchaninoff: Darin liegt das Problem: Russische Soziologen, mit denen ich mich kürzlich unterhielt, erzählen mir dann auch, dass Wladimir Putin wohl von der Realität abgeschnitten ist. In seinem Gegennarrativ, das wir vorher besprochen haben, sinnen die NATO und der Westen auf Rache, aufgrund der Existenz der Größe und der Unabhängigkeit Russlands. Dies zwingt ihn zum Handeln. Diese Erzählung ist in sich schlüssig, aber hat eine paranoide Dimension, weil sie nicht unbedingt der Realität entspricht.

So stellt sich tatsächlich die Frage, inwieweit Putin heute abgeschottet ist von den Realitäten seines Landes. Sein Land leidet: Es gibt viel Armut in Russland, die Inflation ist sehr hoch und es herrscht Korruption. Heute betreibt Putin vor allem eine nationalistische Politik der Vergeltung gegenüber dem Westen, Er täte wohl besser, daran sich um die wahren Probleme zu kümmern, unter denen die Russen heute leiden.

 

Moderator Yves Bossart: Also das Selbstbild ist wirklich so, dass die Aggression von außen kommt (der Druck) und Russland muss sich verteidigen. Das war bei Napoleon so (1812) und das war 1941 gegen die Nazis so. So ist das Selbstbild; Russland wird an den Rand gedrängt, sagt ja Putin auch immer. Also man kann Putins Politik - wenn ich sie recht verstehe - auch als Antwort auf diverse Kränkungen verstehen: Angefangen mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Zusammenbruch der Sowjetunion [bzw.] der UdSSR ist für Putin „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“: Also nicht etwa der Zweite Weltkrieg oder die Machterweiterung Stalins, sondern der Zusammenbruch der Sowjetunion!

Und die zweite Kränkung dann zum Beispiel 1999, wo die NATO in Serbien und Kosovo interveniert (zwei historische Verbündete von Russland) ohne UN-Mandat! Würden Sie sagen, solche … narzisstische Kränkungen können die die Politik Putins ziemlich gut erklären?

 

Michel Eltchaninoff:  Wladimir Putins Politik basiert auf dem Gedanken der Rache für die angeblich erlittenen Demütigungen Russlands. Die Sowjetunion ist [aber unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen. Gorbatschow, der letzte sowjetische Generalsekretär, hatte die „Perestroika“ ins Leben gerufen, um die Sowjetunion zu retten und musste erkennen, dass die kommunistische Planung nicht mehr griff.

Die Sowjetunion fiel auch aufgrund innerer Spannungen, weil Georgien und die baltischen Sowjetrepubliken auf ihre Freiheit drängten. Letztendlich ist die Sowjetunion selbst schuld an ihrem Untergang.
Vladimir Putin sieht die Schuld aber bei anderen; den Amerikanern und den Europäern.

In der ganzen Zeit seiner Herrschaft, die im Jahr 2000 begann und nach einer Verfassungsänderung bis 2036 dauern kann (und somit historisch ist), versuchte er, sein Volk davon zu überzeugen, dass man auf Angriffe von außen reagieren muss.

Es ist eine Umkehrung der Tatsachen: 2008 hat Putin in Georgien militärisch eingegriffen. 2014 annektierte die Krim und unterstützte die Separatisten im Donbass. Heute greift er wieder militärisch in die Ukraine ein. Er ist also der Angreifer und rechtfertigt sieh stets mit der Begründung, die anderen hätten begonnen. Seine Politik erfolgt aus einer Kränkung, sein politisches Denken gründet auf Rache und Vergeltung.  

 

 

IDELOGISCHE VORBILDER

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2228 (Sendeminute 37:08)

Genau für diese Politik sucht er sich auch ideologische Vorbilder:  Er hat Einflüsse, er liest bestimmte Dinge. [Sie beschreiben dies] am Anfang ihres schönen Buches schreiben („In Putins Kopf“), was leider vergriffen ist.  

Er schenkt all seinen Beamten im Jahr … 2014 drei Bücher - sozusagen als Pflichtlektüre.

Und der eine Philosoph - der eine Denker - ist ganz wichtig,  den schauen wir uns jetzt einmal an, er ist auch Vordenker des Konservatismus – Iwan Iljin , also ein Philosoph, Gegner der Bolschewiki, ein  konservativer Monarchist [und] Slawophiler: Er wurde 1922 aus Russland verbannt, lebte dann lange in der Schweiz und ist auch in der Schweiz in Zollikon [nahe Zürich] gestorben.  

Wer war dieser Iwan Iljin und …. seit wann ist er so wichtig fur Putin …?

 

Michel Eltchaninoff:  Iwan Iljin mag in der Geschichte der zeitgenössischen russischen Philosophie keinen großen Platz einnehmen, umso wichtiger ist er aber für Putin.

Es wird erzählt, dass Nikita Michalkow (ein berühmter Filmemacher und Autor des Films

Schwarze Augen“) Putin mit dem Werk von Iljin vertraut gemacht hat.

Offenbar schenkte er Putin die Werke von Iwan Iljin mit der Bemerkung, darin läge eine russische Prophezeiung, die Wladimir Putin verkörpern würde.

Iwan Iljin wurde vor der Revolution geboren und 1922 (wegen seiner Gegnerschaft zu den Kommunisten) aus der UdSSR ausgewiesen.

Er lebte während des Aufstiegs der Nazis in Deutschland und ging dann in die Schweiz. Er wurde tatsächlich in Zollikon beerdigt, aber sein Leichnam wurde 2005 auf ausdrücklichen Wunsch Putins nach Russland zurückgebracht.

In den 1950er Jahren beschäftigte sich Iljin damit, was aus Russland nach dem Fall des Kommunismus werden könnte.

Seine einfachen Ausführungen müssen Wladimir Putin tief beeindruckt haben.

Iljin sagt, nach dem Kommunismus werden ausländische Kräfte versuchen, Russland zu kolonisieren und zu zerstückeln. und in einen Kriegsherd zu verwandeln, um es klein zu halten. Es sei denn, es gelingt einem jungen tatkräftigen Führer, das russische Volk zu vereinen um die Aggression des Westens Einhalt zu gebieten und Russland seinen einstigen Stolz zurückzugeben.

Die Texte von Ivan Iljin haben mir die Augen geöffnet. Vladimir Putin hat Iljin mehrmals bei sehr wichtigen Reden zitiert. Sein Werk enthält die Prophezeiung eines siegreichen antiwestlichen Russlands. allerdings um den Preis einer Konfrontation mit dem Rest der Welt.

Putin ließ sie von ihm stark inspirieren: Er sagte noch 2021, dass Ivan Iljins Buch auf seinem Nachttisch liegt und er es oft konsultiere - für einen Entwurf eines Russlands, frei von westlicher Einflussnahme.

Tatsächlich verteilte Putin das Buch an alle Beamte, die nun - mehr oder weniger freiwillig -  die Werke dieses Philosophen lesen müssen!

 

Moderator Yves Bossart:  Also, das ist eigentlich eine wahre Bibel, sein politisches Programm steckt da in diesen Schriften von Ivan Iljin!

 

Michel Eltchaninoff:  Ja, aber es gibt auch andere Referenzen. So bezieht sich Putin gerne auf einen durchaus großen russischen Philosophen, Nikolai Berdjajew, der russische Revolution miterlebt hat und dann nach Frankreich gezogen ist.

In „Philosophie der Ungleichheit“ von 1918 gibt es ein Kapitel über den „Konservatismus“ und auch dieses zwingt Putin alle hohen Beamten des Landes zu lesen, indem er erklärt: Die Lösung für eine sich schnell verändernde Welt bestehe darin, konservativ zu sein. Ich denke dass Putin hier die Aussagen von Nikolai Berdjajew … völlig verdreht!

 

Moderator Yves Bossart:  Ein Missverständnis?

Michel Eltchaninoff:  Er hat ihn schlicht nicht verstanden. Berdjajew selbst sagte, mein Konservatismus ist nicht politisch, er ist ein rein moralischer Konservatismus.

Aber es schmeichelt Putin, sich auf Philosophen zu beziehen und sagen zu können: „Seht her,  Ivan Iljin und Nikolai Berdjajew haben mein eigenes politisches Programm vorweggenommen!“ Er zitiert auch noch ganz andere Autoren und seine Reden und kulturell zu untermauern und seinem Volk zu zeigen, dass seine Weltanschauung auf einer langen intellektuellen Geschichte beruht.

Moderator Yves Bossart:  Und es gibt auch aktuelle Denker, die er gerne zitiert. und die  eine gewisse Nähe haben. Eine sehr schillernde, umstrittene, gefährliche Figur ist Alexander Dugin. Vielleicht sagen sie noch 2 bis 3 Sätze zu ihm. Er ist ein rechtsextremer Politiker und Denker. Er vertritt eine Idee von einem „eurasischen Imperium“. Das ist auch in ihrem Buch sehr wichtig. Sie sagen: Das ist ein Pfeiler von Putins Denken – dieser „eurasische Traum“ Wer ist dieser Dugin? Und was ist damit gemeint -– dieser „eurasische Traum“.

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2548 (Sendeminute 42:28)

 

Michel Eltchaninoff: Alexander Dugin ist ein Vertreter des so genannten „Neoeuraismus“ in Russland und Ideengeber einer extremen oder sogar faschistischen Rechten. Putin interessiert sich weniger für die Person Dugins, die zu extremistisch ist, als dass sie sich mit ihm zeigen würde. auch wenn er seine Bücher liest.

Das Konzept „Eurasien“ aber ist für Putin von zentraler Bedeutung. Seit er Präsident ist, betont Putin,  das Russlands Schicksal auch in Asien liegt. Seiner Meinung nach gehört Russland kulturell zu Europa, geografisch aber stärker zu Asien.

Putin macht seinem Volk eine Hinwendung zum Osten schmackhaft und wirbt für ein Bündnis mit Xi Jinpings China, anstatt mit Westeuropa oder den USA. Er stützt sich dabei auf Denker den 1920er Jahre, die man „Eurasisten“ nennt.

Sie vertraten die Meinung, dass Russland nicht wirklich zu Europa gehört, sondern zu einem eigenen kulturellen geografischen und politischen Raum („Eurasien“), der weder China noch Europa ist, sondern seine eigenen Werte und Merkmale hat und deshalb ergründet werden soll. Tatsächlich zitiert Wladimir Putin manchmal eurasische Denker, um sich von einem Westeuropa abzugrenzen, dass satt, müde und dekadent geworden sei. Wohingegen „Eurasien“ als junger Kontinent expandiere. Folglich müsste sich Russland eher gegen Osten ausrichten.  

 

Moderator Yves Bossart: Das heißt also Allianzen in China (mit China). Aber wie realistisch ist das es da politisch, dass es da einen Bund gibt? Also, welches Interesse hat China mit Russland zusammenzuspannen, angesichts der Tatsache, dass Russland wirtschaftlich gesehen sehr schwach dasteht und eigentlich nur Probleme hat?

 

Michel Eltchaninoff: Diese Frage quält dem Kreml sehr. Man hat sich zu Beginn der Olympischen Spiele vor ein paar Wochen demonstrativ stark China zugewandt. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen Xi Jinping und Wladimir Putin vom Aufbau einer „postwestlichen“ Weltordnung, die auf postdemokratischen Werten basieren würde.

China bietet sich Russland also als Hauptverbündeter an.

Gleichzeitig fürchtet man sich in Russland auch vor China. China ist bekanntlich ein extrem bevölkerungsreiches und dynamisches Land. Russland hingegen ist extrem leer. groß und rohstoffreich. Dem Wunsch, sich mit China gegen den Westen zu verbünden, steht die Angst vor China entgegen, das bereits seine Fühler nach den russischen Rohstoffvorkommen und den riesigen russischen Raum ausgestreckt hat. Das Bündnis dient Putin derzeit dazu, den Westen zu ärgern, es ist aber auch sehr riskant für Russland.

 

Moderator Yves Bossart: Wie deuten sie das? Also, dieser Rohstoffreichtum Russlands - das ist ein Fakt und Russland ist abhängig davon, für den Export. Aber auch der Westen ist abhängig [von Russland], insbesondere Deutschland: Wir haben die Debatten mitverfolgt  über die Pipeline „Nord Stream 2“. Deutschland bezieht die Hälfte des Öls und des Gases aus Russland derzeit, ist also sehr abhängig. Ist dieser Rohstoffreichtum für Russland eher ein Segen oder ein Fluch für die Zukunft?

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2782 (Sendeminute 45:22)

 

Michel Eltchaninoff: [Er] ist insofern ein Segen, als sie dem Land sehr hohe Devisenreserven verschafft. Hohe  Rohstoffpreise haben es Russland in den letzten 20 Jahren erlaubt, seine Armee zu modernisieren und Militäroperationen und andere Dinge zu finanzieren. Russland ist dank seiner Rohstoffe reich geworden, dieser Reichtum hat aber auch zu Problemen geführt, weil sich Russland seit 25 Jahren darauf verlässt und die Entwicklung seiner Industrie vernachlässigt und wenig in die Kreativität seiner Forscher und Ingeneure investiert hat.

Damit ist Russland in gewisser Weise - trotz seiner Reserven - eine sehr fragile Macht.

Es reicht, dass die Rohstoffpreise sinken damit Russlands plötzlich mit sehr viel weniger Mitteln auskommen muss.

Leider hat es Russland verpasst, dieses Geld dafür einzusetzen, die Industrie im Land wieder aufzubauen und im Interesse der Bevölkerung die Infrastruktur und die Qualität vieler Schulen und Krankenhäuser zu verbessern.

Die Situation ist insofern paradox, dass ein enorm großes und reiches Land eine verarmte Bevölkerung hat, die der nationalen Überhöhung und wohl auf Wladimir Putins überdrüssig geworden ist. Seine Umfragewerte sind viel schlechter als vor 6 oder 8 Jahren. Bei seinem Wunsch, im Zentrum der Welt zu stehen, hat Wladimir Putin wohl einfach sein Volk vergessen.

 

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=2886 (Sendeminute 48:ß6)

Moderator Yves Bossart: Genau dieses Volk, das interessiert ihn auch nicht wirklich, wenn ich sie richtig verstehe. Er nennt zwar Russland eine Demokratie (eine gelenkte Demokratie glaube ich ist er der Ausdruck). Was hat er für ein Demokratieverständnis? Sie haben die  Allianz mit China angesprochen und gesagt, da geht es eigentlich nicht um Demokratie, sondern um was anderes. Was stellt sich Putin unter einer - in seinen Augen gelungenen - Demokratie vor?

 

Michel Eltchaninoff: Die Antwort findet sich beim Autor, den er am häufigsten zitiert und über den wir gesprochen haben: Iwan Iljin, der die westlichen Demokratien kritisiert, weil sie seiner Meinung nach nur auf Wahlen basieren und die Führung sehr oft alle 4, 5 oder 7 Jahre wechselt.

Iljin plädiert für eine Demokratie per Akklamation, indem das Volk ein und denselben Führer auf lange Zeit bejubeln kann. Genau das hat Putin erfolgreich geschafft: Er ist seit 2000 praktisch ununterbrochen an der Macht und kann dies bis 2036 bleiben.

Er glaubt also, eine Demokratie per Akklamation geschaffen zu haben, in der ihm das Volk dafür dankte, dass er weitermacht. Das Problem ist natürlich, dass es sich dabei um eine Scheindemokratie handelt. Es gibt in Russland keine demokratische Debatte vor einer Präsidentschaftswahl. Putin wird sich nie dazu herablassen, im Fernsehen mit seinen Gegnern zu debattieren: Darüber hinaus haben ihm nicht genehme Kandidatinnen und Kandidaten kein Recht anzutreten. Er lässt nur Parteien zu, die im Parlament in seinem Sinn abstimmen: Die Kommunistische Partei etwa und eine rechtsextreme Partei. Ein tatsächlicher Oppositioneller wie der Antikorruptions-Aktivist und Blogger Alexei Nawalny wird vom Geheimdienst vergiftet und fast umgebracht. Und wenn dieser Nawalny nach Russland zurückkehrt, wird er ins Gefängnis gesteckt. Es ist also eine  potemkinsche Scheindemokratie:

Putin hat das Bild einer Art New-Age Demokratie, einer „Beifallsdemokratie“ geschaffen, in der das Volk stolz ist  auf seinen Führer, die in Wirklichkeit aber gegen alle Normen des Respekts vor des Volkes Stimme verstösst.

Moderator Yves Bossart: Wie groß ist die Opposition, und Widerstand in Russland derzeit noch, wie viele Menschen glauben mittlerweile der Propaganda? Sie lesen ja beides, also die westlichen Medien aber auch die russischen Zeitungen und schauen sich beides an. Es gibt ja auch die Idee oder die Meinung die Westen noch vertreten wird, zum Beispiel von der linken Politikerin in Deutschland Sahra Wagenknecht, dass wir bezüglich Russland ein Einseitiges, ein zu negatives Bild haben und immer nur die schlechten Seiten sehen. Wie deuten sie das?

Einerseits stimmt das, was Wagenknecht sagt haben wir ein zu negatives Bild von Russland und die andere Frage wäre: Die Bevölkerung Russland selbst, wie stark glauben sie das, was sie da täglich gesagt bekommen und lesen von Putin und seinen Beamten?

Michel Eltchaninoff: Lassen Sie mich zuerst Ihre zweite Frage beantworten: Ich hatte vor einigen Tagen ein langes Telefongespräch mit dem Direktor des angesehenen unabhängigen Meinungsforschungsinstituts „Levada Zentrum“.  Er erklärte mir, dass die antiwestliche Propaganda im Fernsehen 50% der Bevölkerung erreicht: Vor allem Menschen, die auf dem Land leben eher arm und über 55 Jahre sind.  Die andere Hälfte der Bevölkerung die jünger als 55 ist eher in den großen Städten lebt gebildeter ist und sich im Internet bewegt (was ja in Russland nicht völlig zensiert ist, so dass man Zugang hat zu unabhängigen Informationen) glaubt der Staatspropaganda nicht mehr. Die Macht der russischen Propaganda, die glauben machen will der Westen warte nur darauf Russland anzugreifen, schwindet.

Als Putin 2014 die Krim annektiert, löst das eine nationalistische Begeisterung aus. Alle Russen sind stolz und die Propaganda funktioniert sehr gut. Ein paar Jahre später, als die Menschen mit realen Problemen konfrontiert sind funktioniert das weniger gut.

Dann zu ihrer anderen Frage, zum Bild, das wir uns von Russland machen. Man muss die Dinge trennen: Russland ist ein enorm spannendes Land; aus kultureller und wissenschaftlicher Sicht, aus der Sicht der Kreativität und des sozialen Erfindungsreichtums. Ich liebe das Land seit jeher leidenschaftlich, auch wenn ich nur ein paar Jahre dort gelebt habe. Ich liebe es, weil es kreativ und überraschend ist. Die Kreativität sonst der Erfindergeist der Russen sind außergewöhnlich. Man muss die Liebe und das Interesse für dieses Land von den Handlungen seiner Führer trennen, die seit 20 Jahren in gleicher Besetzung an der Macht sind. Dagegen kann die Bevölkerung heute nichts tun. Sämtlichen Demonstrationen - das letzte Mal zur Unterstützung Alexei Nawalnys 2021 - wird mit äußerster Härte begegnet. Viele junge Menschen landen 2 Wochen im Gefängnis und werden gebüßt. Es ist unmöglich in Russland zu protestieren.  Ich glaube aber, dass die Russen wir nationalistischen Machtdemonstrationen überdrüssig geworden sind . Sie wollen heute ihr Leben leben, sie wollen arbeiten, Geschäfte tätigen, ungehindert reisen und sehen im Westen nicht unbedingt einen Feind.

Was heißt das für Putin? Er wird im Oktober 70 Jahre alt. Mit dem, was er gerade in der Ukraine tut versucht er erneut, die nationalistischen Gefühle seines Landes zu schüren und nimmt dabei einen Krieg in Kauf.

https://youtu.be/ASXAkkHTIG0?t=3240 (Sendeminute 54:00)

Wird er damit Erfolg haben? Werden die Russen in die nationalistische Bresche stoßen, die er  aufreißt. Wir werden das in den kommenden Wochen sehen!

Klar ist, dass Wladimir Putin an den nationalistischen Fäden zieht wie er das schon sehr lange tut. Ich bin mir nicht sicher, dass die russische Bevölkerung ergeben folgt.

Moderator Yves Bossart: Haben Sie eine Prognose, was daraus wird? Also die These ist: Er regiert an seinem Volk vorbei, schon seit längerer Zeit ! … Haben sie eine Prognose,  was was kommen könnte?

Michel Eltchaninoff: Auf innenpolitischer Ebene wird nichts geschehen, weil es keinen Raum für irgendwelche Opposition gibt. Jede mögliche Opposition wird entweder von der Macht gezähmt, indem man Parteien gründet, die sowieso für den Kreml stimmen werden oder man verfährt mit mir wie mit Alexei Nawalny, der nach einem Mordversuch wohl sehr lange im Gefängnis bleiben wird. Eine politische Opposition wird also nicht auftauchen.

Vielleicht wird es zu sozialen Unruhen kommen, vielleicht werden sich einzelne Regionen in Sibirien gegen die staatlichen Übergriffe wehren, aber eine strukturierte politische Opposition schließe ich aus!

Nach außen hin lässt sich keine Prognose stellen. Klar ist, dass Putins Diskurs auf Dauer sehr kohärent ist, er mag von der Realität abgekoppelt sein, aber Putin bleibt auf seiner Linie. Er ist bereit in der Konfrontation mit dem Westen bis zum Äußersten zu gehen. …

Wie ich in meinem Buch beschreibe, stützt sich diese Diskurs auf Philosophen, die Russland und den Westen als Feinde darstellen.

Dieses Bild gilt es zu überwinden. Es gibt viele russische Philosophen, die Putin natürlich nicht zitiert, die der Ansicht sind, dass Russland und der Westen durchaus miteinander auskommen und sich zusammenschließen können.  

Wir befinden uns heute in einer ziemlich dramatischen Situation;  Der bald 70-jährige Putin ist auf Konfrontation aus. Warten wir ab, was passiert! Auf jeden Fall aber ist Putins Wille, bis zum Äußersten zu gehen, sehr real.

Moderator Yves Bossart: Und was ist für sie die Aufgabe des Westens, jetzt in dieser Situation und auch in den nächsten Jahren - wenn das so weitergehen wird, wenn er die Macht nicht abgibt, wenn er jetzt keine Opposition zulässt, wenn er seinen Plan weiter verfolgt.

Wie hart muss der Westen sein, wie viele Sanktionen müssen müssen gemacht werden

- aus ihrer Sicht?

Michel Eltchaninoff: Ich bin selbst kein Politiker, deshalb habe ich darauf keine Antwort. Ich denke, man muss den Menschen in Russland zu verstehen geben, dass man sie liebt und bereit ist, ihre wirtschaftliche und kulturelle Kreativität zu unterstützen. Das ist etwas, was wir tun können, um Russland zu helfen.

Wladimir Putin nährt sich von unseren Schwächen. Barack Obama sagte 2013, dass ein Einsatz von chemischen Waffen in Syrien eine rote Linie darstelle, die nicht überschritten werden dürfe. Als die Armee von Baschar al Aassad mit Hilfe der Russen chemische Waffen einsetzte, war die rote Linie verschwunden. Putin hat damit verstanden, dass Barack Obama es nicht wagen würde, zurückzuschlagen.

Eine Reaktion des Westens auf Wladimir Putin muss auf Stärke gründen und rote Linien aufzeichnen. Man muss klarmachen, dass die Integrität der Ukraine eine solche rote Linie darstellt. Die Ukraine gehört weder zur Nato noch zur Europäischen Union. Aber das Land hat niemanden angegriffen und hat ein Recht auf seine Integrität. Als Produkt der Sowjetunion versteht Wladimir Putin nur die Sprache der Macht. Die westlichen und die europäischen Länder müssen die Kraft aufbringen, sich eine Politik der Anerkennung einer separatistischen Republik oder gar einer Annektion zu widersetzen.

Moderator Yves Bossart: Also die Forderung ist an den Westen: Eine klare Haltung, klare Linien und klares Abstecken von von roten Linien und wenn die überschritten werden, dann auch dezidiert handeln. Wir haben eine Tour d’Horizon gemacht über die Person Putin, über seine Politik, über seine intellektuellen Einflüsse bis zu einem kurzen Einblick. Die Zukunft wird zeigen was passiert. Ich sage Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!